Die dunkelste Stunde

Im Jahr 1940 scheint Europa fast an Nazi-Deutschland verloren. Das Deutsche Reich hat im sogenannten Westfeldzug die Niederlande, Belgien und Norwegen eingenommen, Frankreich steht vor der Kapitulation und ein Großteil der britischen Armee sitzt im Kessel von Dünkirchen fest. In dieser dunkelsten Stunde Europas wird der umstrittene Kandidat Winston Churchill Britischer Premierminister. Während sein Vorgänger, das Königshaus und die meisten Vertreter beider Parteien im Britischen Kabinett einen Verhandlungsfrieden mit Nazi-Deutschland anstreben, geht Churchill den aufrechten Gang des maximalen Widerstands. Dabei plagen ihn durchaus Ängste und Zweifel, aber seinen exzentrischen Gewohnheiten und seinem derben schwarzen Humor bleibt er immer treu. Bereits morgens trinkt er Whisky, raucht seine geliebten Havanna-Zigarren, und formuliert seine politschen Botschaften bei deftigen Eiern und Speck aus dem Bett heraus. Churchill ist ein Choleriker, Genusssüchtiger und durchaus auch unangenehmer Zeitgenosse, der sich bei allen inneren Widersprüchen schließlich maßgeblich für den Widerstand gegen Hitlers Größenwahn zeichnet. Denn in diesen schweren Wochen kann Churchill das Schicksal der Unterwerfung eines ganzen Kontinents unter den Faschismus mit abwenden, und sein Volk aber auch die französischen Verbündeten auf den Krieg gegen Hitlers Truppen einschwören.

Drei der größten politischen Reden der Weltgeschichte wurden in nur vier Wochen geschrieben und allesamt von Churchill, so formuliert Regisseur Joe Wright (Abbitte, Anna Karenina, Der Solist, Pan) sein Ansinnen diese ersten Wochen des Zweiten Weltkriegs zu beleuchten. Von Zweifeln und Rückschritten geplagt, setzte Churchill schließlich seine Evakuierungspläne durch. In einer spektakulären Aktion, in der Großbritannien alles an Booten über den Kanal schickte, was aufzutreiben war, gelang schließlich die Rettung von rund 300.000 Soldaten aus der Umzingelung durch die Wehrmacht. Die Geschichte um die Evakuierung britischer Soldaten aus Dünkirchen verarbeitete zuletzt auch Christopher Nolan mit seinem Anti-Kriegsfilm Dunkirk. Joe Wright und sein Drehbuchautor Anthony McCarten stellen nun den Menschen Churchill ins Zentrum. Legendär sind seine Schrulligkeiten, sein Despotismus, sein derber Humor, aber auch seine rhetorische Brillianz. Den Machern ist die Gradwanderung gelungen, mit der Maske für Protagonist Gary Oldman einerseits eine frappierende Ähnlichkeit zu erzeugen, gleichzeitig aber das Minenspiel des Schauspielers nicht zu zerstören. Dieser lotet nicht nur den ambivalenten Charakter auf beeindruckende Weise aus, sondern vermittelt auch die Wucht der Geschichte. Nichts Geringeres als das freie Europa stand damals auf Messers Schneide. Damit ist auch die Aktualität und Relevanz des kammerspielartigen Dramas benannt. Gary Oldman erhielt für seine beeindruckende Performance u.a. den Golden Globe und den Oscar.

DVD Extras: Audiokommentar, Featurettes

Blu-ray Extras: Audiokommentar, Featurettes

Christiane Radeke