Stranger Things (Staffel 4)
In der dritten „Stranger Things“-Staffel wurde vor allem eines getan: rumgeknutscht. Oder sich zumindest verliebt. Die dramatischen, gruseligen Szenen in der höllischen Parallelwelt, die sich unter dem idyllischen Hawkins auftat, konnten dagegen meist einpacken. Diese Gewichtung hat sich nun allerdings verändert. „Stranger Things 4‟ setzt mehr auf visuelle Effekte und Horrorelemente. Was irgendwo zwischen „E.T.‟ und den „Goonies‟ begann, ist nun bei „A Nightmare on Elm Street‟ angekommen.
Was dich in der vierten „Stranger Things“-Staffel erwartet:
Die mittlerweile zahlreichen Hauptfiguren befinden sich seit dem Ende von Staffel 3 nicht mehr alle an einem Ort: Während Mike, Dustin, Lucas, Max, Nancy, Steve und Robin in Hawkins geblieben sind, lebt Will mit seiner Familie und Eleven in Kalifornien. Und dann war ja in der Post-Credit-Szene von Staffel 3 noch die Rede von einem Amerikaner in einem Gefängnis im Kamtschatka. Die ersten Verbindungen stellt die Serie her, als Mike seine Freundin Eleven in Kalifornien besucht. Ein ernüchterndes Wiedersehen. Denn Eleven geht es dort nicht gut. Während Will, noch viel schüchterner und zurückhaltender als je zuvor, sich unter dem Radar bewegt, ist Eleven zur Zielscheibe arroganter Mitschülerinnen geworden, die sie mit Mobbingattacken bloßstellen. Erinnerungen an das Blutbad aus dem Finale von Brian de Palmas Stephen-King-Verfilmung „Carrie‟ werden wach – nur dass es dazu nicht kommt. Denn Eleven, die als Versuchsobjekt in einem Labor groß wurde, hat ihre übersinnlichen Fähigkeiten längst verloren.
Aber selbstverständlich hat auch die Hawkins-Truppe mit etwas zu kämpfen. Als eine Jugendliche gewaltsam ums Leben kommt, wird Eddie Munson zum Hauptverdächtigen – was nicht sonderlich verwundert: ein Typ mit langen Haaren, der Metal liebt, in der Schule ein Versager und überdies Vorsitzender eines Rollenspielclubs ist, passt dafür einfach wie die Faust aufs Auge. Während die Erwachsenen nach irdischen Motiven und Tätern suchen, erkennen Dustin, Max, Lucas, Nancy, Robin und Steve, dass hinter dem Mord, auf den bald ein weiterer folgt, ein Wessen aus dem Upside Down verantwortlich ist, das die seelischen Verletzungen mancher Jugendlicher ausnutzt. Wie in den Staffeln zuvor geben die Rollenspielnerds der Gruppe dem Monster einen Namen, den sie aus ihren D&D-Runden kennen: Vecna. Und so wird das Unbegreifliche erneut zu einem Wesen, mit dem man irgendwie umgehen kann.
Entschuldigung Serie, wo ist denn hier der Drive hin?
Szenen, die das Herz der Stranger Things-Serie ausmachen, haben meist etwas mit den Figuren und den Sorgen, die sie im Alltag beschäftigen, zu tun. Gleichzeitig finden wir in diesen aber auch immer Anspielungen auf die Popkultur der Achtziger Jahre, die absolut nicht aufgesetzt wirken: Von Dungeons & Dragons-Sessions im Keller bis hin zum Umherstreifen mit BMX-Rädern durch die Kleinstadt. Genau diese Momente kommen in der eindeutig zu langen vierten Staffel allerdings eindeutig viel kurz. Über Figurenentwicklungen erzählt die Serie nämlich kaum noch. Ein Grund dafür: Das Ensemble ist mittlerweile so groß geworden, dass die Handlungsstränge unmöglich allen Figuren gerecht werden können. Will und Mike etwa, Kernbesetzung der ersten beiden Staffeln, spielen hier nur noch Nebenrollen.
Was auch noch verdammt schade ist: „Stranger Things‟ hatte schon immer ein Faible für Nerds. Allerdings wurden diese noch nie so sehr zur klamaukigen Hauptattraktion wie jetzt. Der Humor wirkt auf einmal viel platter als zuvor. Aus dem Schmunzeln über die Eigenheiten ist ein Schenkelklopfer geworden. Zur Last fällt der Serie aber vor allem der Wunsch, alles bislang Geschehene zu einer stimmigen Geschichte zu bündeln. Denn während Querverbindungen geschaffen werden, erlischt allmählich auch das Interesse an dieser Welt, die plötzlich viel zu sehr erklärt wird. Das Böse wird nicht bedrohlicher, wenn es einen Masterplan hat. Vollkommen überflüssig sind zudem die langen Szenen mit ausschließlich erwachsenem Cast in Kamtschatka, wobei die Darstellung der „bösen Russen‟, die in der dritten Staffel noch ein ironischer Rückblick auf die Zeit des Kalten Kriegs und damalige Feindbilder war, angesichts gegenwärtiger politischer Ereignisse überhaupt nicht mehr komisch wirkt.
Unser Fazit zu Staffel 4:
Es war einmal, da wurde über ganze Sternenkriege, über den Aufstieg und den Fall von Imperien, über unzählige Planetenbesuche und Familiengeschichten in etwa sechs Stunden erzählt. Wer sich die in jeder Hinsicht überlange vierte Staffel von „Stranger Things‟ ansieht, wünscht sich, dass nicht nur der Achtziger-Jahre-Style kopiert worden wäre, sondern auch die Qualität, auf den Punkt zu kommen. Zu viele Handlungsstränge, zu viele Querverbindungen, zu viele Erklärungen. Und dadurch: Zu wenig das, was die Serie in der Vergangenheit so verdammt gut gemacht hat. In Erinnerung von dieser Staffel wird vor allem Max bleiben, die um ihren ums Leben gekommenen Stiefbruder trauert und Kraft aus dem schönen Kate-Bush-Song „Running up that hill‟ bezieht. Und Will, der in einer kleinen Szene eine ungeheuer berührende und ehrliche Liebeserklärung macht – und dabei ganz allein bleibt.
Stefan Stiletto