Spider-Man: Across the Spider-Verse
Erstmal langsam ankommen? Kannst du vergessen. Die Fortsetzung von „Spider-Man – A New Universe“ (eigentlich: „Spider-Man: Into the Spider-Verse“) taucht direkt ins Geschehen ein. Den Recap des ersten Teils haut Gwen Stacy dem Publikum als Erzählerin zu einem Trommel-Solo um die Ohren. Die Bilder hier fließen, drehen sich, zerbrechen in mehrere Teile, die an Comicpanels erinnern. Wo Oben und Unten war, weiß sowieso keine*r mehr. Und wenn dann nach einem gefühlt sehr langen Intro der Titel eingeblendet wird, ist eigentlich schon alles klar: Das hier ist kein entspannt wegzuguckendes Popcornkino, das hier ist eine Tour de Force für die Sinne, eine atemberaubende und verdammt schön anzuschauende Überforderung. Wer blinzelt, verliert. Überfordern kann allerdings zunächst auch die Geschichte ...
Worum es in der Spider-Man-Fortsetzung geht:
Back to the Multiverse! Auch das Sequel lebt von der Idee, dass alle möglichen Spider-Man- und Spider-Woman-Versionen in getrennten Welten gleichzeitig existieren, etwa eine Spider-Woman mit Babybauch, ein kapitalismuskritischer Punk-Spider-Man mit britischem Akzent, ein indischer Spider-Man oder Peter Parker (mit Babytrage) aus Queens. Diese Parallelwelten funktionieren, solange niemand mit kanonischen Story-Elementen herumspielt – also solchen, die überall gleich bleiben und als gesetzt gelten – oder ein Superschurke beginnt, zwischen den Universen seine finsteren Pläne zu verfolgen. Aber genau das passiert hier natürlich! Und so gelangt Spider-Gwen bei der Verfolgung des Schurken dann doch noch einmal in die Welt von Miles Morales, dem 15-jährigen Teenager, der als Spider-Man in Brooklyn für Recht und Ordnung sorgt. Unbeabsichtigt verwickelt sie ihn in die Geschehnisse, im Laufe derer sich Raum und Zeit zunehmend auflösen und sich keine Person mehr sicher sein kann, wann und wo (und auch: wie viele) sie ist.
Wie in allen Live-Action-Adaptionen von Spider-Man seit 2002 verknüpft auch „Spider-Man: Across the Spider-Verse“ die Geschichte mit den Alltagsproblemen der beiden Superheld*innen. So geht es eben auch um Streit mit den Eltern, um Abgrenzung und um Liebe. Als Gwen und Miles sich vor einem Jahr kennengelernt haben, hat es zwischen ihnen nämlich ziemlich gefunkt. Wer allerdings die Comics kennt, weiß: Vielleicht wäre es besser, wenn aus den beiden kein Paar wird. Aber eben nur vielleicht. Denn auch darum geht es in diesem Film: Um die Frage nach dem Schicksal und die Möglichkeiten der Einzelnen, ihr Leben und die Welt zu gestalten und zu verändern. Und darum, seinen eigenen Weg zu gehen und seine eigene Geschichte zu schreiben, selbst zu bestimmen, wer man ist, sein möchte und sein kann, ohne auf andere zu hören. Die schicksalhafte Origin Story von Spider-Man wird hier auf jeden Fall gehörig auf den Kopf gestellt.
Ob du dich im Spider-Man-Multiverse verlierst?
Beim Zurechtfinden inmitten all der Erzählebenen hilft der Look der jeweiligen Universen, die alle in einem ganz eigenen Stil gestaltet wurden. Kunstvoll, fast aquarellartig sieht das Universum von Gwen Stacy aus, klarer umrissen, aber immer noch flächig (mit bewussten Unschärfen, die einen 3D-Effekt simulieren) jenes von Miles Morales, Schurke Spot hingegen bewegt sich in einer durch und durch abstrakten Umgebung. Visuell ist dieser Film also ein wahres Fest! Man kann sich kaum sattsehen an diesen Bildwelten, die zudem mit Effekten wie Bildteilungen und eingeblendeten Soundwörtern oder Sprechblasen spielen oder von Rasterdruckpunkten – die Comic-Vorlage lässt grüßen – übersät sind. Damit setzt „Spider-Man: Across the Spider-Verse“ einen schönen Gegenpol zur MCU-Müdigkeit, die sich gerade abzuzeichnen beginnt. Klar, „Iron Man“, der maßgeblich den Erfolg der Comicadaptionswelle im Kino auf den Weg gebracht hat, war ein großer Spaß, die „Avengers“-Filme waren Bombast pur, „Captain America: The Return of the First Avenger“ hat sich zum klugen Verschwörungsthriller gewandelt und die „Guardians of the Galaxy“ haben den Weirdness-Faktor auf ein neues Level gehoben (mal abgesehen von dem Göttersohn mit dem Hammer). Aber so richtig, richtig sensationell war 2018 eben nur ein Marvel-Film, der außerhalb des MCU entstanden ist: „Spider-Man – A New Universe“. Ein Film, von dem die meisten dachten, dass man ihn überhaupt nicht bräuchte. Jetzt ist es quasi umgekehrt: die neuen animierten Spider-Man-Filme sind überragende, kluge, hochgradig unterhaltsame und innovative Comicadaptionen. Und mehr davon ist auch schon unterwegs. 2024 soll „Beyond the Spider-Verse“ ins Kino kommen. Denn trotz seiner Laufzeit von knapp 140 Minuten ist „Across the Spider-Verse“ nur die Hälfte einer epischen Geschichte und endet mit einem fiesen Cliffhanger.
Stefan Stiletto
Weitere Angaben
Filmtyp: Farbe
Sprachen: Deutsch, Englisch