Sonne und Beton
Es ist heiß, das Prepaid-Handy aufgeladen und Hip Hop von Aggro Berlin ertönt aus den Boxen. Doch der 14-jährige Lukas hat gerade keinen Kopf, den Sommer zu genießen. Geld muss her, viel Geld – und zwar schnell. Zunächst scheint es ziemlich aussichtslos, aus der Situation herauszukommen. Eine zündende Idee ist gefragt! Die kommt und wird prompt umgesetzt. Nur wird das Leben von Lukas und seinen Freunden dadurch alles andere als einfacher ...
Darum geht es in „Sonne und Beton“:
Die Sonne scheint auf Gropiusstadt, eine Plattenbausiedlung in Berlin-Neukölln. Vor der Schule wacht Security und lässt nur diejenigen rein, die einen Schulausweis vorzeigen können. Seinen hat Lukas verloren. Also schwänzt er und will mit Gino und Julius im Park Gras kaufen. Doch dort läuft alles aus dem Ruder! Eine gegnerische Dealertruppe nimmt die Jungs ins Visier. Zuerst kriegt Lukas Prügel ab, dann wird das Ganze zur Massenschlägerei. Bevor die Polizei sie zu fassen kriegt, entwischen die drei Freunde. Aber damit nicht genug! Die eine Dealertruppe verlangt 500 Euro Entschädigung von Lukas. Wo soll er das Geld hernehmen? Seine Freunde, zu denen auch Sanchez, ein neuer Mitschüler und Nachbar von Lukas dazu stößt, können nicht helfen. Ihnen fehlt eh hinten und vorne Geld – um ins Schwimmbad zu gehen, Mädchen zu beeindrucken und das eigene Leben etwas besser zu machen. Als die Schule brandneue Computer bekommt, sehen die Vier darin die Lösung ihrer Probleme. Bei einem wagemutigen nächtlichen Einbruch klauen sie die Geräte und versuchen, sie zu Geld machen. Doch das ist nicht so leicht wie gedacht und die Schlinge um ihre Köpfe zieht sich immer weiter zu.
Was „Sonne und Beton“ besonders macht:
David Wnendts Verfilmung des Bestsellers von Comedian und Podcaster Felix Lobrecht startet brutal. Die Schläge prasseln, das Sounddesign lässt es richtig knallen. Kamerafrau Jieun Yi fängt die aufgeladene Stimmung in eindrucksvollen Bildern ein. Nach der Auseinandersetzung im Park heißt es: Blut abwischen, weitermachen! Denn für die vier Freunde, um die sich die Geschichte dreht, gehört Gewalt zum Alltag. Doch „Sonne und Beton“ ist kein Sozialdrama, das betroffen auf Neuköllner Jugendliche schaut, sondern begegnet Lukas und Co mit Respekt und schildert temporeich, mal hart und dramatisch, mal leicht und humorvoll und immer wieder unterhaltsam deren Geschichte.
Ob Ausstattung, Musik oder Sprache – der Sommer 2003, in dem die Geschichte spielt, ist gut getroffen. Überzeugen kann der Film aber vor allem aufgrund der Glaubwürdigkeit seiner Darsteller, zu denen Rapper wie Luvre47 und Lucio101 aus Gropiusstadt gehören. Dass die Jungs beste Freunde sind, ihre Träume und ihr Schmerz sie verbinden, glaubt man sofort. Julius, der mit seiner steilen Frisur und Bereitschaft, jederzeit Party zu machen, manchmal absurd komisch wirkt, hat eine so kurze Zündschnur, dass er am liebsten selbst provoziert. Der weiche Gino spart darauf, mit seiner Mutter den prügelnden Vater zu verlassen und abzuhauen. Sanchez versucht mit seiner alleinerziehenden Mutter einen Neuanfang in Gropiusstadt. Und Lukas selbst schreibt super Deutschaufsätze, kann aber sein Talent genauso wenig ernstnehmen, wie die fortwährende Mahnung seines Vaters: „Der Klügere gibt nach.“ Lukas bewundert seinen älteren Bruder Marco, der das anders sieht: „Der Klügere tritt nach!“
In seiner Mischung aus Härte und Unterhaltsamkeit hat „Sonne und Beton“ Parallelen zu „Rheingold“. Und ähnlich wie bei Fatih Akins Film hätte es auch hier gutgetan, sich kürzer zu fassen. Als in einer wunderbar absurden Szene die Mutter von Cem dafür sorgt, dass ihr Sohn und Lukas sich nicht erneut an die Gurgel gehen, glaubt man die Geschichte auf der Zielgeraden. Doch eine erneute Gewalteskalation folgt und fühlt sich ermüdend und unnötig an. Auch spielen Frauen und Mädchen nur am Rande eine Rolle und bleiben in stereotypen Rollen als Love Interest, mit dem man gern Sex hätte, oder Müttern, die sich für die Söhne abrackern oder von diesen beschützt werden müssen, stecken. Doch davon ab schafft es „Sonne und Beton“ immer wieder, Puzzlestücke zu den Leben seiner Figuren hinzuzufügen. Da streichelt Lukas die Hand des Vaters, wenn er schläft. Da entpuppt sich der Lehrer, der scheinbar unermüdlich das Beste in seinen Schüler*innen sieht, als Person mit rassistischen Vorurteilen. „Sonne und Beton“ zeigt eindrucksvoll, dass eine Schubladen-Strategie nicht aufgeht, Menschen nicht einfach nur gut oder böse sind, sondern es einfach komplizierter ist und es keine simplen Lösungen für einen Ausweg gibt. Das macht den Film so unbedingt sehenswert.
Kirsten Loose
Weitere Angaben
Filmtyp: Farbe