Licht
Das erste Bild, das sich der Mensch je als Abbild seiner naturgegebenen Sicht auf die Wirklichkeit gemacht hat, entstand mit einer Camera obscura – oder auch: Lochkamera. 1826 wurde mit einer solchen Gerätschaft das erste heute noch erhaltene Foto der Welt aufgenommen – nur 2 Jahre nach dem Tod der prominenten Pianistin Maria Theresia Paradis. Was hat die Kameratechnik mit der Klavierspielerin zu tun? Damit kommen wir zu dem neuen Film der Regisseurin Barbara Albert: "Licht" – ein Filmporträt über jene Pianistin.
"Licht" beginnt Klaviermusik zum verschwommenen Bild einer Wasseroberfläche. Es ist dunkel und farblos und deutet die glitzernden Wellen nur an. Von dieser abstrakten Eröffnung erfolgt ein Schnitt auf die Großaufnahme einer Frau am Klavier – von ihr kommt die Musik. Sie trägt Lippenstift und ein rotes Halsband, Perlenohrringe und eine graue Perücke. Diese und der Hintergrund mit Kerzen und goldverzierten Wänden versetzen uns prompt ins 18. Jahrhundert. Was aber ablenkt von dem Prunk, das sind die Augen der Pianistin, völlig verdreht unter halb geschlossenen Lidern. Maria Theresia Paradis, hier im Alter von 18 Jahren zu sehen, ist seit frühester Kindheit blind. Ein Publikum aus aufgetakelten Damen und Herren sitzt der jungen Frau am Klavier gegenüber. Sie lauschen einerseits ihrem Spiel – und mustern andererseits ganz unverhohlen und sichtlich irritiert ihre Erscheinung. "Sche is net, aber spiel'n tut's gut", wird da im österreichischen Dialekt geflüstert. Auf die Auftaktszene erfolgt die zeitliche Einblendung: Wien, 1777. Im Folgenden erzählt "Licht" von der Begegnung der blinden Pianistin und dem Arzt, der ihr das Augenlicht zurückgeben wollte, dem berühmt-berüchtigten Frank Anton Mesmer (Devid Striesow). Frei nach dem Roman "Am Anfang war die Nacht Musik" von Alissa Walser nimmt der Film nur ein kleines Kapitel aus dem Leben jener Maria Theresia Paradis in den Fokus. Als Zeitgenossin von Haydn und Mozart komponierte sie später eigene Stücke, tourte durch Europa und begeisterte Zuhörer wie Ludwig XVI. und Marie Antoinette. Sie gründete sogar eine Musikschule für Mädchen und junge Frau, seien sie blind oder sehend. Doch die großen Taten und Verdienste kommen erst später. Der Film "Licht" konzentriert sich auf einen anderen, spannenden Lebensausschnitt, in dem es um das ganz persönliche Schicksal seiner Protagonistin geht. Denn mithilfe des Arztes Mesmer scheint sie ihre Sehkraft zurückzugewinnen – und ihre Begabung fürs Klavier zu verlieren.
Die Regisseurin Barbara Albert erzählt diese Geschichte in einer unaufdringlichen Inszenierung. Mit einem Schauspiel, das all die Steifheit und die aufgestauten Befindlichkeiten hinter dem Prunk zum Ausdruck bringt, erweckt das gut aufgelegte Ensemble das Drehbuch zum Leben. Allen voran beeindruckt dabei Maria Dragus in der Rolle der Maria Theresia Paradis, die oft wie ein Objekt zur Schau gestellt wird, beurteilt und beobachtet, fremdbestimmt durch Arzt und ihre Eltern. Trotzdem verleiht Dragus ihrer "Resi" ein eigenes Wesen, das in den stillen Momenten und an den Klaviertasten sichtbar wird. Mal neugierig und amüsiert, mal kritisch, mal trostlos nimmt sie ihre Umgebung wahr – eine männerdominierte Gesellschaft, die in ihrer eitlen Oberflächlichkeit der unseren gar nicht so unähnlich ist. Die Kamera fängt mit natürlichem Licht und in ruhigen Einstellungen das Geschehen ein, das meist zwischenmenschlicher Natur ist. Nur hin und wieder werden Aufnahmen eingestreut, die wie die eröffnende Einstellung sind: abstrakt, verschwommen, wie durch einen grauen Schleier. Sieht so Resi die Welt? Oder sind es Traumbilder, Erinnerungen? Diese Frage wollte Regisseurin Albert bewusst offen lassen. Ihrer langjährigen Kamerafrau Christine A. Maier (mit der Albert schon für ihr großartiges Spielfilmdebüt Nordrand zusammengearbeitet hat) kam die Idee, diese abstrakten Bilder, die Resis Blick auf die Welt andeuten, mit einer Lochoptik zu drehen – in Anlehnung an jene Kameratechnik, mit der die Menschen sich erstmals ein Bild von der Welt gemacht haben. Für den Film "Licht" wurde Maier mit dem Österreichischen Filmpreis 2018 ausgezeichnet, in der Kategorie "Beste Kamera".
DVD Extras: Making-of
Weitere Angaben
Filmtyp: Farbe
Sprachen: Deutsch, Dt. f. Sehg.
Untertitel: Dt. f. Hörg.