Du hast das Leben vor dir

Film: Du hast das Leben vor dir
Länge:
94 Minuten
Altersempfehlung:
Ab 14 Jahren
FSK-Freigabe:
Ab 12 Jahren
Regie:
Edoardo Ponti
Darsteller:
Ibrahima Gueye (Momo), Sophia Loren (Madame Rosa), Renato Carpentieri (Dr. Coen), Abril Zamora (Lola), Babak Karimi (Hamil)
Genre:
Drama , Literaturverfilmung
Land:
Italien, 2020

Bereits im Jahr 1977 erschien mit „Madame Rosa“ eine Leinwandadaption von Romain Garys preisgekröntem Roman „La vie devant soi“, der in Deutschland unter dem Titel „Du hast das Leben noch vor dir“ bekannt ist. 2010 erblickte eine Fernsehfassung des Buches das Licht der Welt. Und nun legt Edoardo Ponti (Zwischen Fremden) eine Neuverfilmung des Stoffes vor, die nach einem limitierten Kinostart auf Netflix verfügbar ist. Für eine der beiden Hauptrollen konnte der Regisseur seine Mutter Sophia Loren zehn Jahre nach ihrem letzten Auftritt in einem Spielfilm wieder vor die Kamera locken.

„Du hast das Leben vor dir“ – im Filmtitel ist das „noch“ aus dem Namen der deutschen Romanübersetzung verschwunden – verpflanzt die ursprünglich in Frankreich spielende Geschichte in die italienische Küstenstadt Bari. Dort hält sich der aus dem Senegal stammende Waisenjunge Momo mit Diebstählen über Wasser. Sehr zum Bedauern seines Vormundes Dr. Coen, der den Zwölfjährigen dazu verdonnert, sich bei Madame Rosa, seinem letzten Opfer, persönlich zu entschuldigen. Und nicht nur das. Kurzerhand gibt der Arzt seinen Schützling in die Obhut der alten Dame, die früher als Prostituierte gearbeitet hat, inzwischen allerdings eine Art Tagesmutter für Kinder aus schwierigen Verhältnissen ist. Da er unbedingt seinen eigenen Weg gehen will, ergreift Momo nur wenig später die Gelegenheit, für einen Dealer Drogen auf den Straßen Baris zu verkaufen. Als er bemerkt, dass die Holocaust-Überlebende Madame Rosa unter ihren traumatischen Erfahrungen leidet, weicht seine anfangs abweisende Haltung langsam auf.

Zwei Menschen, die sich zunächst überhaupt nicht ausstehen können, nähern sich mit der Zeit immer weiter an. Schon früh ist offensichtlich, dass „Du hast das Leben vor dir“ dieses klassische Erzählmuster bedient. Wiederholt kommt es zu kleinen Konfrontationen, bei denen auch schon mal derbe Worte fallen. In manchen Passagen hätte man das vorhandene Konfliktpotenzial aber noch ein bisschen stärker ausreizen können. Gelegentlich droht das Geschehen nämlich, vor sich hinzuplätschern.

Dass der Film dennoch unterhaltsam bleibt, liegt vor allem an Newcomer Ibrahima Gueye. Mit seiner Energie und seinem spitzbübischen Charme belebt der Jungdarsteller viele Szenen fast im Alleingang. Trotz seiner Bockigkeit und seiner kriminellen Neigungen drückt man dem auch als Erzähler auftretenden Momo die Daumen, die richtigen Entscheidungen zu treffen. Lobenswert ist überdies, wie der Regisseur das Umfeld von Madame Rosa zeichnet. Die Probleme ihrer Nachbarin Lola, einer Transfrau mit Kleinkind, werden zwar angedeutet. Gleichzeitig begegnet Ponti dieser Nebenfigur jedoch auf erfrischend selbstverständliche Weise, soll heißen: Zu keinem Zeitpunkt steht ihre Geschlechtsidentität im Mittelpunkt der Diskussion.

Gueyes schwungvolle Darbietung und eine Reihe fein beobachteter Alltagsmomente täuschen allerdings nicht über den mitunter holzschnittartigen Aufbau des Drehbuchs hinweg. Einige Entwicklungen – zum Beispiel Momos Aufstieg im Drogengeschäft – werden nicht genug vertieft. Und gerade die emotionalen Wendepunkte in der zweiten Hälfte fühlen sich etwas erzwungen an. Dadurch verspielt „Du hast das Leben vor dir“ leider ein Stück seiner Ausdruckskraft.

Christopher Diekhaus

Weitere Angaben

Filmtyp: Farbe

Streaming-Anbieter

Angaben beruhen auf Informationen zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung (46. Woche 2020).