Bridgerton (Staffel 1)
Die Serienadaption von Julia Quinns gleichnamiger Bestseller-Reihe über die (fiktive) mächtige Familie Bridgerton im England des frühen 19. Jahrhunderts erhitzte um die Weihnachtszeit 2020 auf unterschiedliche Weise die Gemüter: Den einen floss die Röte wohl vor Wut in den Kopf, dass man so frivol „historische Gegebenheiten“ ignoriert und Lords und Ladys jeder Couleur gecastet hat – im wahrsten Sinne des Wortes, denn selten sah man die Regency-Ära ethnisch so divers! Anderen wiederum floss die Röte vielleicht vor Verklemmung ins Gesicht, denn ebendiese ungezügelten Lords und Ladys benehmen sich alles andere als prüde. Dort, wo „Stolz und Vorurteil“ beim keuschen Kuss vorm Sonnenaufgang abblendet, lugt man hier unverschämt in die Schlafzimmer, Hinterstuben und sonstigen Orte, wo Menschen natürlicherweise ihren fleischlichen Gelüsten frönen. Kernthema ist jedoch die altehrwürdige, patriarchale Heiratspolitik und das stets mit ihr verbundene (Un)glückspotenzial.
Worum es in der ersten Staffel von "Bridgerton" geht:
Es ist wieder Brautschau-Saison am königlichen Hofe von Queen Charlotte (Golda Rosheuvel) und in den luxuriösen Villen Londons herrscht helle Aufregung. Adlige Jungfrauen schlüpfen als Debütantinnen in ihre schönsten Kleider, um sich mit einem dezenten Knicks vor der Königin zu empfehlen, die am Ende des „Catwalks“ zu ihrem Thron à la Heidi Klum ihre Gunst verteilt oder flatterhafte Hoffnungen zerstört. Die jungen Damen, die den Test passieren, werden sogleich von Werbern umschwirrt.
Die neue unangefochtene Saisonkönigin ist die liebreizende Daphne (Phoebe Dynevor) aus der angesehenen Aristokratenfamilie Bridgerton. Bald stehen die Männer Schlange im Salon des Hauses und machen ihr den Hof. Doch als von den eifersüchtigen Nachbarstöchtern ein garstiges Gerücht gestreut wird, folgt auf den Höhenflug Daphnes ein tiefer Fall. Um ihr beflecktes Image wieder zu polieren, lässt sie sich auf einen heimlichen Deal mit dem begehrtesten Junggesellen weit und breit ein: Der unnahbare Duke of Hastings alias Simon (Regé-Jean Page) ist ein langjähriger Freund von Daphnes Bruder Anthony (Jonathan Bailey) und aus eigenen Motiven gewillt, den Intrigant*innen eins auszuwischen. Heimlich täuschen Phoebe und Simon gegenseitiges Interesse vor und lassen die Gerüchteküche brodeln. Bis echtes Knistern zwischen ihnen die Umstände deutlich verkompliziert …
Und das ist nur der Haupthandlungsstrang, der flankiert wird von vielen weiteren kleinen Täuschmanövern, Skandälchen und Liaisons wider Willen, Vernunft und Sitte. Jenes illustre Treiben kommentiert die berüchtigte Lady Whistledown – im Original gesprochen von niemand Geringerem als Julie Andrews („Mary Poppins“) – die als eine Art geheimnisumwobenes „Gossip Girl“ anonym mit ihren scharfzüngigen Artikeln den Tratsch der High Society anheizt.
Warum "Bridgerton" so erfolgreich ist:
Die hochattraktiven Schauspieler*innen und ihre Techtelmechtel sind wahrscheinlich nicht der einzige Grund, weshalb „Bridgerton“ rasch zur bislang erfolgreichsten (!) Netflix-Serie überhaupt wurde. Dem Streamingdienst kann trotz der wechselhaften Qualität seiner Programme eines zugutegehalten werden: dass er mit so manchen unserer Sehgewohnheiten bricht und neue etabliert. Denn die eigentliche Besonderheit an „Bridgerton“ ist, dass das hier gezeigte London ganz selbstverständlich ethnisch divers daherkommt. Ein längst überfälliger Konventionsbruch, den man in der Inszenierung fiktiver Stoffe in jüngerer Zeit gerne wagt, beispielsweise auch in der letzten Adaption von Charles Dickens Klassiker „David Copperfield“ mit Dev Patel in der Titelrolle. Dieser Entwicklung beizuwohnen, hat etwas Befreiendes an sich.
Doch auch daneben überzeugt die Serie in ihrer flotten Darstellung althergebrachter Rollenbilder und stellt mit schlagfertigen Protagonist*innen gewieft die Adelshierarchien auf den Prüfstand. Wer "big drama" vor opulenter Kulisse liebt, wird definitiv auf seine Kosten kommen. Und mehr noch: Wallende Kleider in prachtvollen Ballsälen wechseln sich hier ab mit reizvoll ausgedehnten Sexszenen, die von Instrumental-Versionen neuerer Popsongs wie Taylor Swifts „Wildest Dreams“ bis zum erotischen Höhepunkt begleitet werden. Was die gute alte Jane Austen hierzu wohl gesagt hätte? We love it!
Nathanael Brohammer
Weitere Angaben
Filmtyp: Farbe
Anbieter
FilmverleihNetflix