You Are Not My Mother

„Familie ist das Gruseligste auf diesem Planenten“, heißt es an einer Stelle des Horrorfilms „You Are Not My Mother“, der damit eines der zentralen Motive des Genres aufgreift. Dort, wo wir echte Liebe und Geborgenheit finden sollten, gedeihen manchmal die schlimmsten Ängste, lauern die größten Gefahren. Erzählen lässt sich davon auf knallige Weise, in Form einer aufdringlichen Schockparade. Oder aber mit eher subtilen Mitteln – wie Regiedebütantin Kate Dolan, deren psychologische Schauermär ziemlich unter die Haut geht.
Darum geht es in „You Are Not My Mother“:
Obwohl sie eine Klasse übersprungen hat, ist Chara Leben erschreckend trostlos. Einige Mitschüler*innen haben sie auf dem Kieker. Und zu Hause muss sie mitansehen, wie ihre psychisch kranke Mutter Angela daran scheitert, den Alltag zu bewältigen. Als sie doch einmal aus dem Bett kommt und ihre Tochter zur Schule fährt, geraten die beiden in einen Streit. Kurz darauf ist Angela spurlos verschwunden. Trotz aller Konflikte macht sich Char handfeste Sorgen und staunt nicht schlecht, als die Vermisste eines Nachts wieder in der Tür steht. Weder der Teenagerin noch ihrer Oma Rita entgeht, dass Angela auf einmal seltsam verändert wirkt, dynamischer und entschlossener auftritt als früher. Nur wenig später landet Chars Onkel mit einer schweren Vergiftung im Krankenhaus. Und die Sorge, dass irgendetwas mit ihrer Mutter nicht stimmt, wird für Char zu einer echten Belastung.
Was „You Are Not My Mother“ verdammt gut macht:
Eine Mutter, die immer fremder wird, kann ganz schön unheimlich sein. Das haben schon andere Horrorfilme, etwa „Ich seh, ich seh“, eindrucksvoll bewiesen. „You Are Not My Mother“ legt nun einen spannenden Spagat hin, zeigt uns einerseits bedrückend realistisch, wie herausfordernd, das Zusammenleben mit einem psychisch kranken Elternteil sein kann. Parallel zieht die auch für das Drehbuch verantwortliche Regisseurin eine übernatürliche, mit abergläubischen Elementen angereicherte Ebene ein, die jedoch nur selten für klassische Schockeffekte herhalten muss. Unbehaglicher als die rar gesäten konventionellen Schreckbilder ist die fehlende Kommunikation in Chars Familie und die in der Luft liegende Feindseligkeit zwischen Mutter Angela und Oma Rita. Still leidet Char an dieser Stimmung, die vom stets tristen Wetter, der spießig-dunklen Einrichtung des Hauses und einer quälenden Musik unterfüttert wird. Überzeugend und intensiv sind außerdem die Leistungen der Hauptdarstellerinnen. Hazel Doupe stehen die Verzweiflung und die wachsende Furcht ins Gesicht geschrieben, wobei sie Chars Sehnsucht nach ihrer Mutter immer durchblitzen lässt. Mindestens ebenso bemerkenswert ist das, was Carolyn Bracken in ihrer alles andere als einfachen Rolle abliefert. Zeichnet sie zu Beginn mit leeren Augen das glaubwürdige Porträt einer vom Leben überforderten Frau, verleiht sie dem Film nach Angelas Rückkehr mit einer nun fast manischen Energie eine verstörende Unberechenbarkeit. Beispielhaft zu beobachten in einer wilden Tanzszene, in der Angela Char immer aggressiver zum Mitmachen bewegen will. Positiv abheben kann sich „You Are Not My Mother“ vom Standardhorror aber auch dadurch, wie er das Thema Mobbing anpackt. Erstens sind die Bullys hier einmal nicht die üblichen aalglatten Schulschönheiten, und zweitens entwickelt Char in einer überraschenden Wendung ein Vertrauensverhältnis zu einer ihrer Peinigerinnen. Kleine Abweichungen wie diese tragen dazu bei, dass man sich über den mangelnden Feinschliff im hochdramatischen Finale nicht zu sehr ärgern braucht.
Christopher Diekhaus
Weitere Angaben
Filmtyp: Farbe