Vice - Der zweite Mann
Aller Anfang ist schwer: Erst nachdem seine ehrgeizige Ehefrau Lynne dem jungen Dick Cheney im Jahr 1963 gehörig den Kopf gewaschen hat, kommt der ambitionslose Sauf- und Trunkenbold zur Vernunft. Im politischen Betrieb von Washington versucht er, als Praktikant Fuß zu fassen, und landet schließlich bei einem umtriebigen Republikaner namens Donald Rumsfeld, der den Neuling unter seine Fittiche nimmt. Cheney erweist sich als gewiefter Stratege und arbeitet heimlich, still und leise an seinem Aufstieg in die erste Liga. Unter George Bush sen., der ihn zum Verteidigungsminister ernennt, erreicht seine Laufbahn ihren ersten Höhepunkt. Als jedoch der Demokrat Bill Clinton ins Weiße Haus gewählt wird, zieht sich Cheney fürs Erste aus der vordersten Reihe zurück und findet einen lukrativen Posten in der Wirtschaft. Seine Rückkehr auf die politische Bühne feiert er zusammen mit George W. Bush, der ihn zu seinem Vizepräsidenten macht. Cheneys große Stunde schlägt nach den traumatischen Terrorattacken vom 11. September 2001. Das entstandene Chaos weiß er für eine Ausweitung seiner Macht zu nutzen. Und noch dazu treibt er mit der Behauptung, Saddam Hussein besitze Massenvernichtungswaffen, maßgeblich den Einmarsch in den Irak voran.
Wer Adam McKays letzten Film, die messerscharfe Börsenfarce „The Big Short“, gesehen hat, dürfte ahnen, dass „Vice – Der zweite Mann“ kein braves, streng chronologisch gegliedertes Biopic ist. Im Gegenteil: Einmal mehr nimmt der Regisseur sein Publikum mit auf einen wilden, bitterbösen, vor Informationen nur so berstenden, zum Lachen und zum Kopfschütteln einladenden Ritt, der ein vermeintlich trockenes Thema unglaublich unterhaltsam aufbereitet. Begleitet wird das Geschehen von den sarkastischen Kommentaren eines fiktiven Erzählers, dessen Beziehung zu Cheney sich in der zweiten Hälfte langsam offenbart. Nach rund einer Stunde lässt McKay einen betont ironisch gehaltenen Abspann über die Leinwand rollen. Bei einer wichtigen Entscheidungsfindung reden der Protagonist und seine Ehefrau urplötzlich in Shakespeare-Versen. Und als es um die Ausdehnung von Foltermaßnahmen geht, bringt eine herrlich surreale Restaurantszene den ganzen Irrsinn treffend auf den Punkt. Auch wenn man freilich nicht alles für bare Münzen nehmen darf, zeichnet die mit acht Oscar-Nominierungen bedachte Satire auf kenntnisreiche Weise das Porträt eines Politikers, der vom einfachen Fußsoldaten zu einem skrupellosen Strippenzieher im Zentrum der Macht avanciert. Der unter einer dicken Maske steckende Verwandlungskünstler Christian Bale (Mogli: Die Legende des Dschungels, American Hustle, Batman Begins, Feinde – Hostiles) legte für seine Rolle gewichtsmäßig ordentlich zu und spielt den kühl kalkulierenden Taktiker mit einem Schuss Diabolik, lässt aber auch den Menschen hinter der berechnenden Fassade durchscheinen. Etwa in dem Moment, als Cheneys lesbische Tochter Mary ihr Comingout vor ihren Eltern hat. So hart McKay seine Hauptfigur und ihre zweifelhaften, bis heute spürbaren Handlungen auch angreift, so sehr er Manches ins Lächerliche zieht, so wenig begeht er den Fehler, den Zuschauer gänzlich in Sicherheit zu wiegen. Dass man es sich in seiner Entrüstungshaltung nur ja nicht bequem machen soll, unterstreicht der Regisseur am Ende, wenn er Cheney direkt in die Kamera sprechen lässt.
Christopher Diekhaus
Weitere Angaben
Filmtyp: Farbe
Sprachen: Deutsch, Englisch
Untertitel: Deutsch