Ungehorsam

Der alte Rabbi einer Londoner jüdisch-orthodoxen Gemeinde stirbt. Seine erwachsene Tochter Ronit lebt als Fotografin ein unabhängiges Leben in New York. Vor Jahrzehnten hat sie ihre Familie und die Gemeinde verlassen und ihr altes Leben Knall auf Fall hinter sich gelassen. Anlässlich des Todes ihres Vaters kehrt Ronit nach London zurück – und wird nicht nur mit Wohlwollen aufgenommen. Dovid, der spirituelle Ziehsohn ihres Vaters, nimmt sie jedoch für ihren Besuch bei sich auf. Dovid soll neuer Rabbi der Gemeinde werden. Ronit stellt überrascht fest, dass er mittlerweile mit Esti, einer alten Freundin von ihr, verheiratet ist. Ihr Vater hat zudem nicht ihr sein Haus vererbt, sondern der Gemeinde. Mit ihrer aufbrausenden Art reagiert Ronit nicht unbedingt diplomatisch. Doch Esti bleibt ihr nahe. Als Teenager hatten sie und Ronit eine Romanze, die nicht sein durfte. Und auch jetzt fühlen sie sich gegen alle Widerstände zueinander hingezogen und beginnen eine heimliche Affäre.

„Ungehorsam“ ist die Verfilmung des gleichnamigen Romans von Naomi Alderman. Das Beziehungsdreieck Ronit, Esti und Dovid steht klar im Zentrum der Geschichte – intensiv gespielt von Rachel Weisz, Rachel McAdams und Alessandro Nivola, sowie feinfühlig inszeniert von Sebastián Lelio. Bereits mit „Gloria“ und Eine fantastische Frau legte der chilenische Regisseur zwei bemerkenswerte Frauenporträts vor. Doch bei aller Präzision und genau eingefangenen Emotion schafft es das Drama um eine verbotene lesbische Liebe nicht ganz zu berühren. Die Handlung über eine heimliche Leidenschaft zweier Frauen, die sich gegen den Widerstand einer männlich geprägten Gesellschaft Bahn bricht, ist einfach schon oft erzählt worden. Auch wenn die Unmöglichkeit, eine solche Liebe in einer streng religiösen Gemeinde zu leben, glaubwürdig und realistisch ist, wäre es wünschenswert, insbesondere in prominent besetzten Filmen mehr selbstbewusste lesbische Figuren zu erzählen und damit positive Vorbilder zu schaffen. LGBT-Figuren tauchen eh selten genug in Filmen auf.

Wie „Ungehorsam“ allerdings von einer schwierigen Vater-Tochter-Beziehung erzählt und davon, wie tief der Verlust ist, wenn eine Versöhnung nicht mehr vor dem Tod stattfindet, ist so schmerzhaft wie emotional eingefangen und vermag es, einen mitten ins Herz zu treffen.

Kirsten Loose