The Voice (2019)

Darum geht es in „The Voice (2019)“:
Der 16-jährige Goran, der in Schwierigkeiten steckt, wird von seiner alleinerziehenden Mutter in ein katholisches Internat an der kroatischen Küste gebracht. Seine Mutter arbeitet auf einem Kreuzfahrtschiff und hat nicht genug Zeit für ihn. In dem Internat führt die fromme Direktorin Danijela ein striktes Regiment. Goran teilt sich drei anderen Jungs ein Zimmer und versucht, sich einzupassen, eckt aber schnell an, als er beim obligatorischen Vaterunser zu den Mahlzeiten nicht mitspricht. Nach und nach wird klar, dass er nicht an Gott glaubt. Damit ist er in der Schule isoliert und wird angefeindet, dabei spielen viele andere Schüler/innen lieber Games oder schauen Pornos als zu beten. Danijela und ein Pfarrer versuchen vergeblich, Goran zu bekehren. Auf dem Heimweg von einem religiösen Konzert wird er von zwei Mitschülern angegriffen, kann aber fliehen. Voller Wut köpft er am Schuleingang weiße Marienstatue mit einem Stein. Als die Direktorin eine Entschuldigung von ihm verlangt, wird er ohnmächtig.
Lohnt sich der Film für dich?
Anpassen und mitlaufen oder Haltung zeigen und rebellieren? Das ist eine zentrale Frage in diesem einfühlsamen Außenseiterdrama, das mit einer ruhigen Kameraführung und soliden Darsteller*innenleistungen punktet. Der Regisseur Ognjen Sviličić und seine Ko-Autorin Marijana Verhoef legen keinen großen Wert auf Action oder großes Drama. Sie zeigen vielmehr, dass sich einige Rituale des öden Internatsalltags oft wiederholen oder nur geringfügig variieren. Viel wichtiger ist ihnen die innere Entwicklung des Protagonisten, vor allem seiner nonkonformistische Haltung. Dabei bleibt allerdings offen, ob Goran eher ein Atheist oder Agnostiker ist oder einfach nur ein einsamer, verstörter Junge, der seinen Vater vermisst und mit gezielten Regelverstößen provozieren will.
Goran bekommt eine Breitseite an Ausgrenzungen zu spüren, die von Spott über Schikanieren und Mobbing bis zum tätlichen Angriff reichen – Erfahrungen, die sich auf viele andere Situationen übertragen lassen. Die Spannungen spitzen sich beim Schulausflug zu, bei dem Goran in einem Wettkampf bis zur völligen Erschöpfung hinausschwimmt. Er kann oder will später keine Begründung für seine riskante Aktion geben, die an einen Selbsttötungsversuch grenzt. Umso krasser fällt die Reaktion einer Mitschülerin aus, die andeutet, dass man ihn am besten einfach hätte ertrinken lassen sollen.
Das Nachwuchstalent Franko Jakovcevic versteht es, Gorans Zweifel glaubhaft auf die Leinwand zu bringen, auch wenn er manchmal etwas zu passiv wirkt. Als seine wichtigste Widersacherin und Direktorin wahrt Belma Kosutic souverän die Balance zwischen Strenge und Barmherzigkeit. Als kraftvolle Studie über den Konflikt zwischen Dogma und Gedankenfreiheit, Glaube und Vernunft macht sich der Film nicht nur für mehr Toleranz und Respekt stark, sondern liefert auch viele Denkanstöße.
Reinhard Kleber