The Ordinaries
Worum es in diesem Film genau geht?
Eine dystopische Welt in naher Zukunft, in der sich das Leben ausschließlich in einem filmischen Kosmos abspielt: Paula soll in der fünfjährigen Ausbildung lernen, wie eine Hauptdarstellerin im Film zu reagieren hat und wie sie Emotionen glaubwürdig vermittelt. Aufgewachsen ist sie bei ihrer alleinerziehenden Mutter, die als reine Nebenfigur gelernt hat, ihre knappen Dialogsätze passgenau zu wiederholen. Damit ist sie ihrer Tochter oft gehörig auf die Nerven gegangen. Paulas Vater soll vor etlichen Jahren einem Massaker zum Opfer gefallen sein, das durch einen Aufstand der „Outtakes“ verursacht wurde. Unablässig wiederholt Paulas Mutter, ihr Vater sei eine Hauptfigur gewesen und eine ganz besondere obendrein. Diese Überzeugung hat ihr Halt und Zuversicht gegeben. Doch kurz vor der Abschlussprüfung beginnt sie daran zu zweifeln. Auf der Suche nach ihrer wahren Herkunft recherchiert sie im Filmarchiv des Instituts – vergeblich. Erst im verbotenen Bezirk der Outtakes, die keinerlei Recht besitzen, findet sie erste Spuren ihres Vaters. Am Ende ihrer Recherchen muss sie eine folgenschwere Entscheidung treffen.
Was ist so besonders an „The Ordinaries“?
Coming of Age-Geschichte, Liebesfilm, Musical, Science Fiction-Drama und noch vieles mehr ist dieser fulminante Abschlussfilm von Sophie Linnenbaum an der Filmuniversität Babelsberg KONRAD WOLF. Sie entführt uns in einen geschlossenen filmischen Kosmos, der auf der Überlegung beruht, das Leben könnte vielleicht nur ein Film sein, in dem es keine Außenwelt gibt. Doch wer schreibt hier die Geschichte und bestimmt, was wir zu sagen und zu fühlen haben, was wir tun dürfen? Sind wir die Hauptfiguren in unserem Leben oder nur Nebenfiguren? Was wäre, wenn wir zu den „Outtakes“ gehören, also zu denen, die im fertigen Film herausgeschnitten werden und bestenfalls noch als Bonusmaterial Verwendung finden? Nicht jeder Mensch kann ein „Alpha-Tier“ sein, aber was ist mit denen, die keine Chance erhalten, ein selbstbestimmtes und freies Leben zu führen?
Mit geringem Budget ist es der Filmemacherin gelungen, einen nahezu perfekten Langspielfilm für die große Leinwand zu drehen – und das mit Dutzenden von Darsteller*innen, einigen groß angelegten Szenen und stimmig choreografierten Musical-Einlagen. Gleich am Anfang stellt Paula ihre Eltern vor, die sich bei Dreharbeiten kennengelernt hatten. Eine humorvolle Hommage an die Filme der DEFA, die hier in kurzen Ausschnitten zu sehen sind, insbesondere mit einer zentralen Szene aus „Die rote Kapelle“ (1970). Die geschlossene Welt des Films findet sowohl dramaturgisch als auch ästhetisch ihren Niederschlag. Filmszenen werden in leichten Variationen mehrfach gedreht und geschnitten, Figuren tauchen plötzlich an anderer Stelle einer Dialogszene auf, einige von ihnen sind verpixelt, sind im Farbfilm nur in Schwarzweiß zu sehen oder können nicht reden, da ihnen die Tonspur fehlt. Andere Figuren sind als übermächtige Kommentare aus dem Off zu hören. Sogar eine klassische Splitscreen-Szene, die ein Telefonat zwischen zwei Personen zeigt, wird ironisch gebrochen. Mit den existenziellen Fragen nach Herkunft und Selbstbestimmung des Menschen jenseits des festgelegten Drehbuchs hinterfragt der Film die Ungerechtigkeiten in unserer Gesellschaft durch Ausgrenzung und Chancenungleichheit. Ein echter „Hammer“-Film.
Holger Twele
Weitere Angaben
Filmtyp: Farbe