The First Purge

Drei der berüchtigten Purge-Nächte hat die Kinoleinwand bereits erlebt – nun widmen sich die Macher dem Ursprung der Reihe: „The First Purge“ zeigt die allererste Nacht auf Staten Island, in der für 12 Stunden jegliche Verbrechen erlaubt sind. Ein Experiment mit grausamen Folgen und einem erschreckenden Hintergrundplan. Die amerikanische Psychologin Dr. Updale glaubt daran, dass die Ausübung von Gewalt unglaublich wertvoll sein kann – gerade für die ständig malträtierte Unterschicht, um all die aufgestaute Wut herauszulassen und sich anschließend wieder dem verhassten System zu fügen. Deswegen führt sie mit Unterstützung der machthabenden Partei NFFA eine Studie durch, bei der all das möglich wird: Gewalt, Verbrechen, Mord. In einem Zeitraum von 12 Stunden soll die Gesellschaft eine Reinigung durchleben, die sie von all den negativen Gefühlen befreit. Eine Nacht lang tun, was immer man will, um sich endlich besser zu fühlen. Für manchen vielleicht verlockend, für andere der absolute Horror. Doch es gibt zusätzliche Überzeugungskraft: 5.000 Dollar erhält jede Person, die sich zum Zeitpunkt der Purge im Versuchsgebiet auf Staten Island aufhält – und für die aktive Beteiligung wird noch ein Bonus in Aussicht gestellt. Für die Bewohner der dortigen Ghettos ist das viel Geld. Und so lassen sich wesentlich mehr Menschen darauf ein, als sich gut dabei fühlen. Als es dann losgeht, sind die Auswirkungen eher zaghaft. Ein Psychopath treibt sein Unwesen und ein Gangmitglied nutzt die Gelegenheit zum Putschversuch. Ansonsten zeigt sich bloß etwas Vandalismus und es werden sogar „Purge Partys“ ins Leben gerufen, um die Nacht auf friedliche Weise zu zelebrieren. Bei den politischen Machthabern herrscht Unzufriedenheit mit dem Experiment. Immerhin geht es hier um einen ersten Versuch, um die Purge anschließend landesweit zu etablieren. Aber offenbar gibt es einen Plan B – denn plötzlich mutiert die Purge dann doch zum reinsten Gewaltexzess und für viele Menschen auf der Insel beginnt nun der Kampf ums Überleben.
Das Konzept hinter „The First Purge“ ist ebenso simpel wie genial – schließlich werden die meisten von uns ab und an einen leichten Drang verspüren, den eigenen Wut- und Zerstörungsfantasien einmal freien Lauf zu lassen. Im Film wie in der Realität gibt es politische Parteien, die diesen Drang ausnutzen. Und es gibt gute Gründe, sich nicht darauf einzulassen. Das wird hier auch noch einmal mehr als deutlich: Menschlichkeit und moralisches Empfinden sind an vielen Stellen wesentlich größer als die Verlockung. Und auch die versprochene Belohnung reicht zwar aus Gründen der Not, um sich dem Risiko zu stellen – nicht aber, um für noch mehr Geld das eigene Werteempfinden über Bord zu werfen. Umso grausamer, wenn es nötig wird, diese Menschlichkeit mit allen Mittel zu verteidigen. Weil andere Interessen mehr Gewicht haben auf dem politischen Parkett und das Schicksal des Einzelnen dabei nicht berücksichtigt wird.
Spätestens beim Gedanken an die Parallelen in unserer Gesellschaft setzt der Film ein erschreckendes Schockmoment frei. Denn letztendlich reichen immer einige Wenige, um den Großteil der Menschheit in den Abgrund zu ziehen. Zumindest wenn es nicht Akteure gibt, die sich mit ausreichender Stärke dagegenstellen. In dieser Hinsicht ist „The First Purge“ wirklich gut und setzt ein eindrucksvolles Mahnmal für die Zukunft. Leider gibt es auch einige Aspekte, die diese Qualität mindern, weil sie einfach nicht zu Ende gedacht sind: Die bewusste Beteiligung eines psychopathischen Drogenjunkies beispielsweise macht den Charakter einer Studie weitestgehend hinfällig – schließlich ist hier keinerlei Katharsis zu erwarten. Und man fragt sich, wie die Partei die Purge als Erfolg verkaufen möchte, wenn am Ende niemand überlebt. Wer möchte denn schon teilnehmen, wenn die Chancen auf das eigene Überleben gegen Null tendieren? Hier legt der Film seinen Fokus dann doch mehr darauf, dem Horror-Genre zu entsprechen – und zwar auf stellenweise wirklich ausufernde Weise.
Marius Hanke