Talk To Me
Noch ist es vielleicht kein echter Trend. Es könnte aber einer werden! Denn was ins Auge sticht: Gerade 2023 gingen mehrere Horrorwerke an den Start, die ihre jungen Protagonist*innen nicht als billiges Kanonenfutter verheizen, sondern sich ernsthaft mit Trauer und Tod befassen. Zur britischen Gruselserie „Red Rose“ und der Stephen-King-Adaption „The Boogeyman“ gesellt sich jetzt der australische Schauerthriller „Talk to Me“, das erstaunlich abgeklärte Spielfilmdebüt der Zwillingsbrüder und YouTube-Stars Danny und Michael Philippou.
Worum es im Horrorthriller „Talk to Me“ geht:
Zwei Jahre ist es mittlerweile her, dass Mias Mutter unter nie ganz geklärten Umständen verstarb. War es ein Versehen? Selbstmord? Oder hängt gar Mias Vater in der Sache drin? Am Todestag will die nach wie vor trauernde Teenagerin ihre düsteren Gedanken bei ihrer besten Freundin Jade und deren kleinem Bruder Riley verscheuchen. Gemeinsam besuchen sie eine Party, auf der die Anwesenden ein neues Spiel spielen. Mithilfe einer abgetrennten, einbalsamierten Hand soll es möglich sein, das Tor zur Geisterwelt aufzustoßen. Mia ist zunächst sehr skeptisch, lässt sich dann aber doch anstecken und will nur wenig später selbst einen Versuch unternehmen. Zu groß ist die Hoffnung, noch einmal mit ihrer Mutter sprechen zu können, endlich all die drängenden Fragen loszuwerden. Die Séance reißt ihre Clique jedoch ins Verderben.
Warum „Talk to Me“ positiv überrascht:
Was für ein Auftakt! Schon die ersten Minuten von „Talk to Me“ haben es in sich, zeigen, dass hier zwei Filmemacher mit Talent und Genreverständnis am Werk sind: Zu treibenden Beats folgt die Kamera in einer langen, ungeschnittenen Einstellung einem jungen Mann, der auf einer Feier nach seinem Bruder sucht und kurz darauf sein blaues – genauer gesagt: rotes – Wunder erlebt. Nach diesem ebenso elektrisierenden wie erschütternden Einstieg treten die Philippous erst mal ordentlich auf die Bremse, um ihre Figuren in aller Ruhe einzuführen – was im heutigen Mainstreamhorror keineswegs selbstverständlich ist. Offensichtlich wissen die beiden YouTuber ganz genau, dass echtes Mitfiebern nur dann einsetzt, wenn die Drama-Elemente des Films nicht unter den Tisch fallen. Dreh- und Angelpunkt von „Talk to Me“ ist daher Mias Schmerz, der sich wie ein Schatten über das Geschehen legt. Unglücklicherweise entsteht gerade aus ihrem nachvollziehbaren Wunsch, mehr zu erfahren, endlich zu verstehen, neues Leid.
Das Drehbuch zeichnet die Charaktere nicht nur facettenreich, sondern im Vergleich zu anderen Gruselschockern erstaunlich authentisch. Beziehungen, etwa die zwischen Mia und Riley, der fast wie ein kleiner Bruder für sie ist, wirken natürlich – auch dank guter Schauspielleistungen. Selbst Jades und Rileys Mutter Sue erscheint in Miranda Ottos präziser Performance alles andere als klischeehaft. Klassische Genrestilmittel – unter anderem grotesk geschminkte Fratzen und aus dem Dunkeln hervortretende Gestalten – verwenden die Regisseure durchaus, lassen ihren Film aber nie zu einer plärrenden Schreckparade verkommen. Ungefähr ab der Hälfte kippt die vorher noch etwas verspielte Handlung ins Abgründige und läuft fortan unerbittlich auf ihre düstere Schlusspointe zu. Kleine erzählerische Ungenauigkeiten im letzten Drittel sind leicht verschmerzbar, da „Talk to Me“ mit seiner freigesetzten emotionalen Wucht gefangen nimmt. Alle Achtung also für dieses Debüt, das nebenbei bemerkt auf unverkrampfte Weise Diversität vorlebt!
Christopher Diekhaus
Weitere Angaben
Filmtyp: Farbe