Sonne
Darum geht es in „Sonne“:
Die kurdischstämmige Yesmin, „Halbjugo“ Bella und Nati „von da“ sind Wiener Jugendliche, deren Leben aus Schule, Feiern und Chillen besteht. Als sie im Kleiderschrank von Yesmins Mutter deren Hijabs finden, ziehen sie sie an, tanzen zu R.E.M.s Song „Losing My Religion“ und filmen sich mit dem Smartphone. Ein harmloser Spaß, bis das Video in der kurdisch-muslimischen Community Kreise zieht und die drei zu kleinen Internet„stars“ werden. Yesmins Vater Omar findet das lustig und chauffiert seine Tochter und ihre Freundinnen gerne zu zahllosen Festen, wo die drei ab sofort Auftritte haben. Yesmins gläubige Mutter missfällt sowohl die Aktion der Mädchen, wie auch das Engagement ihres Mannes. Lieber soll er sich um Yesmins Bruder Kerim kümmern, der die Schule schwänzt, sich rumtreibt und eines Nachts filmt, wie er mit seinen Freunden im Park ein Schwein schlachtet. Yesmin versucht, Kerim aus seiner Freundesgruppe herauszuholen – vergeblich. Auch Bella und Nati werden ihr immer fremder. Während Yesmin mit ihren kurdisch-muslimischen Wurzeln zu hadern scheint, sind ihre Freundinnen zunehmend fasziniert von zwei jungen kurdischen Patrioten.
Was diesen Film richtig gut macht:
Was genau ist hier eine oder die Religion von und für Yesmin? TikTok? Der Islam? Und was für ein Islam – offen wie Yesmins Vater oder konservativ wie ihre Mutter? Und ist das Video der drei eine Kritik am Islam oder der Versuch, die Religion auf moderne Weise interessant zu machen? „Sonne“ erzählt vom Erwachsenwerden einer jungen Frau und ihrer Freundinnen, der Abgrenzung von Familie und dem Finden der eigenen Identität. Aber auch von Religion, von Selbstbestimmung und der Positionierung zu den eigenen Wurzeln. Große Themen, doch „Sonne“ ist weder ein staubiges gesellschaftlich relevantes Drama, noch bierernst geworden und hat keine Lust auf Klischees. Yesmin ist klug, schlagfertig und sagt, wenn ihr etwas nicht passt. Melina Benli spielt Yesmin ebenso lässig und unverkrampft wie Law Wallner und Maya Wopienka ihre Freundinnen Bella und Nati. Gekonnt pendelt der Film dabei dazwischen, die Gefühle der Mädchen ernst zu nehmen und Momente von absurdem Humor zu schaffen. Wenn die drei in einem islamischen Zentrum vor Muslimas auftreten, ist dies schon ziemlich schräg.
Kurdwin Ayub, die Malerei, experimentellen Animationsfilm und performative Kunst studiert hat, weiß in ihrem ersten fiktionalen Langfilm nicht nur sehr genau, von wem sie erzählen will, sondern auch wie. Ihr Film füllt nicht die Breite einer Kinoleinwand, sondern wird bestimmt vom Hochkantformat des Handyvideos. Immer wieder nutzt „Sonne“ die Ästhetik von YouTube und TikTok inklusive Filtern und Schnitttechniken. Sprunghaft, mit harten Übergängen und so selbstbewusst genutzt, dass klar ist: Diese Ästhetik ist auch fürs Kino ernstzunehmen und die einzig richtige Form, die Geschichte von Yesmin, Bella und Nati zu erzählen.
Unser Fazit zu „Sonne“
Ein visuell wie erzählerisch interessantes, unterhaltsames und eigenwilliges Spielfilmdebüt, das neugierig darauf macht, was Regisseurin Kurdwin Ayub als nächstes zu erzählen hat.
Kirsten Loose
Weitere Angaben
Filmtyp: Farbe