Queen & Slim


Eigentlich ist es ein Tinder-Date, das im Nichts verlaufen wäre: Denn die hochintelligente Anwältin Angela sucht bloß etwas Zerstreuung, weil gerade einer ihrer Mandanten zur Todesstrafe verurteilt wurde. Und Ernest scheint mit seiner einfachen Art auch ansonsten nicht gerade geeignet, um diese Begegnung zu vertiefen. Doch als er sie dann nach Hause bringt, werden ihre Schicksale plötzlich fest miteinander verwoben: Ein Polizist hält ihren Wagen an und in der vorbelasteten Atmosphäre aus Vorurteilen gegenüber Afroamerikanern und dem provokanten Aufgebehren gegen eine zum Teil rassistische Staatsgewalt eskaliert die Situation. In übereifriger Vorsicht schießt der Polizist auf Angela, als sie ihr Handy zückt, um seine Übergriffigkeit gegenüber Ernest zu filmen. Zum Glück nur ein Streifschuss. Dann versucht er Ernest niederzuringen. Im Gerangel fällt ein weiterer Schuss und der Polizist bricht zusammen. Eigentlich Notwehr. Aber nach ihren Erfahrungen als Anwältin weiß Angela nur allzu gut, dass sie keine Chance auf Gerechtigkeit haben. Also fliehen sie quer durchs Land, um einen Ausweg zu finden. Dabei werden sie auf der einen Seite als gefährliche Cop-Killer dargestellt und gnadenlos gejagt. Und auf der anderen Seite werden sie vollkommen unverhofft zu Symbolfiguren einer afroamerikanischen Bewegung, die dem Wunsch nach Gleichberechtigung neue Hoffnung schenkt.
Wenn man sich Rezensionen und Kommentare zu „Queen & Slim“ durchliest, gehen die Meinungen teils weit auseinander. Kein Wunder, denn der Film bewegt sich auf eine solch ungewohnte Weise zwischen romantisch-verklärtem Roadmovie und politischem Statement, dass die Wertung stark vom eigenen Betrachtungswinkel abhängt. Und während es durchaus ein wenig schade ist, dass die Ereignisse zum Teil arg konstruiert und nicht immer nachvollziehbar wirken, ist eine andere Schwäche zugleich auch eine besondere Stärke des Films: Die Handlung ist eindeutig in unserem Jahrzehnt angesiedelt und wirkt doch wie aus der Zeit gefallen. Das macht „Queen & Slim“ unglaublich atmosphärisch und verstärkt den Eindruck zweier Menschen, die sich gefunden haben und nun gemeinsam in ihrer ganz eigenen Welt bewegen. Und dabei sowohl sich selbst als auch das Leben neu entdecken: Mit einem Zwischenstopp in einem Nachtclub, um sich für einen kurzen Moment im Tanz zu verlieren. Mit einem Halt an einer Weide, wo Ernest sich das erste Mal auf ein Pferd setzt. Und mit zahlreichen allzu menschlichen Begegnungen, die mitunter überraschen und in einer ungerechten Welt ein klein wenig zuversichtlich stimmen. Angela und Ernest sind weder Bösewicht noch Held. Eigentlich sind sie sogar die Normalsten in der Geschichte, während um sie herum alles verrücktspielt.
All das hat Regisseurin Melina Matsoukas in ihrem Spielfilmdebüt so wundervoll in Szene gesetzt und mit genau den richtigen Songs verwoben, dass man die ganze Zeit wie auf einem fliegenden Teppich durch das Geschehen getragen wird. Und dabei so manche Schwäche oder Länge locker übersteht. Weil der Zauber anhält und man nicht möchte, dass er jemals aufhört. Und weil es schön ist, den beiden Hauptdarstellern dabei zuzusehen, wie sie diese zwei mitten in der Ausweglosigkeit aufblühenden Charaktere verkörpern. Daniel Kaluuya (Get Out, Sicario) steht mit einer geradezu knuffigen Art und sympathischen Hartnäckigkeit der die Menschen auf Distanz haltenden Angela gegenüber. Und Jodie Turner-Smith spielt eine Frau, die voller mitreißender Energie und zugleich auf der verzweifelten Suche nach einem Ruhepol ist, um nicht immer nur kämpfen zu müssen. Man muss nicht alles an „Queen & Slim“ mögen, um danach zu denken: Wie gut, dass ich eingestiegen bin und an diesem außergewöhnlichen Roadtrip teilhaben durfte.
Marius Hanke