Polina

Eine junge russische Tänzerin will Ballerina an einem renommierten Theater werden, muss sich dafür einer überaus harten Ausbildung unterziehen und hat einen strengen Tanzlehrer. Und dann verliebt sie sich auch noch. Geschichten wie diese gibt es viele. Aber „Polina“ ist anders. Wahrscheinlich auch, weil der Film auf einem Comic des Franzosen Bastien Vivès beruht, der eine ganz eigene Art hat, Geschichten zu erzählen. Los geht es erst einmal nach dem bekannten Muster: Polinas Familie wünscht sich, dass ihre Tochter am renommierten Bolschoi-Theater in Moskau aufgenommen wird. Das achtjährige Mädchen selbst ist engagiert, reibt sich aber auch an dem undurchschaubaren Tanzlehrer Bojinski, der ihre jegliche Gefühle beim Tanzen austreiben will. Gefühle gehören nicht auf die Bühne, sagt Bojinski. Tanzen ist pure Disziplin und Kontrolle. Das allerdings ist mit Polina nicht zu machen. Nachdem sie zehn Jahre später tatsächlich in das Ensemble aufgenommen wird, bricht sie sofort die Zelte in Moskau ab und reist mit ihrem Freund Adrien nach Frankreich – in eine unkonventionelle Tanzschule, in der es um wahrhaftige Gefühle auf der Bühne geht. Aber auch dort bleibt sie nicht lange. Immer dann, wenn der Film eine vorhersehbare Richtung zu schwenken scheint, wird doch alles anders. Die Aufnahmeprüfung am Bolschoi? Findet irgendwann zwischen zwei Szenen statt. Die Beziehung zu Adrien? Steht auch nicht Mittelpunkt. Stattdessen erzählen die Regisseurin Valérie Müller und der Choreograf Angelin Preljocaj davon, wie Polina versucht, durch den Tanz ihren eigenen Wegen zu finden, wie sie sich von den Vorgaben ihrer unterschiedlichen Lehrer lösen und aus alle deren Ansätzen etwas eigenes machen muss. „Polina“ kommt ganz unspektakulär daher, ist aber mit großer Sorgfalt inszeniert und lebt vor allem auch von seinen Tanzszenen, ja wird manchmal zum Tanztheater, weil Polina eben durch ihre Bewegungen und ihre Art zu tanzen ganz viel über sich selbst ausdrückt. Zum Glück ist all dies aber auch überhaupt nicht verkopft geraten, sondern sehr lebendig. Die Kamera bleibt immer ganz nahe bei der Titelheldin und begleitet sie auf ihrem Weg. Wir spüren, worum es ihr geht. „Polina“ ist ein Film, der wenig erklärt und vielmehr durch Bilder und Bewegungen erzählt. Damit steht er der auch in Deutschland veröffentlichte Graphic Novel von Vivès ganz nahe – und ist auch eine Einladung, diese einmal zu lesen.

Blu-ray Extras: Interviews mit Cast & Crew, Kinotrailer, 16-seitige Leseprobe von "Polina" (Reprodukt Verlag)

Stefan Stiletto