Nirgendland

Die sexuellen Übergriffe des Vaters gegen seine Tochter liegen bereits viele Jahrzehnte zurück. Tina Reuther, mittlerweile über 50 Jahre alt und mit einem anderen Namen ausgestattet, verdrängte all die Jahre ihre traumatischen Erfahrungen. Ihr Verdrängungsprozess war so erfolgreich, dass sie das Trugbild einer heilen Familie lange aufrecht erhalten konnte. Erst als die eigene Tochter Floh Selbstmord begeht, findet das Schweigen ein Ende, denn Tina fühlt sich am Selbstmord mitschuldig und weiß, dass sie mit dieser Schuld weiterleben muss. Denn es stellte sich heraus, dass der Vater seine Enkelin systematisch ebenfalls sexuell missbraucht hatte. Diese flüchtete sich in Drogen und in die Prostitution, bis sie nicht mehr weiter wusste und ihrem Leben ein Ende setzte. Jetzt blickt Tina auf ihr Leben zurück, auf den Verlust ihrer Tochter und die vergeblichen Anstrengungen, den Vater nach so vielen Jahren mittels einer Anklage noch zur Rechenschaft zu ziehen. Doch Tinas Vater hatte immer nur beteuert: „Es ist doch gar nichts passiert.“ Und auch Tinas Mutter hat ihre Mitschuld mit den Worten geleugnet: „Wenn du erwachsen bist, dann ist alles vergessen.“
Es sind solche Sätze über mangelndes Unrechtsbewusstsein und die Zementierung der schönen Fassade in einer gutbürgerlichen bayerischen Familie, die in dem Film von Helen Simons besonders wütend und betroffen machen. Vor dem Hintergrund der aktuellen Verschärfung des Sexualstrafrechts ruft er zugleich ungläubiges Staunen hervor, als das Gericht für einen Freispruch des Angeklagten plädiert, insbesondere weil sich dessen kleine Enkelin nicht gegen die sexuellen Übergriffe gewehrt hatte. Abwechselnd mit den in warmen Farben gefilmten, gleichwohl schockierenden Erinnerungen von Tina zitiert eine monotone weibliche Stimme sachlich-nüchtern aus den Gerichtsakten, wobei die Bilder dann in kalte Farben getaucht sind und dem Entsetzen über das Zitierte filmischen Ausdruck geben. Entstanden ist dieser beeindruckende Dokumentarfilm als Abschlussarbeit an der Münchner Filmhochschule. Eine reife und mutige Leistung vor und hinter der Kamera, die man sich nicht unbedingt freiwillig anschauen möchte, die aber gesellschaftlich wichtig ist für eine Sensibilisierung im öffentlichen Bewusstsein gegenüber sexuellen Übergriffen jeder Art und die Langzeitfolgen für die Betroffenen.
Holger Twele
Weitere Angaben
Filmtyp: Farbe
DVD-Bildformat: 16:9
Ton: Dolby Digital 2.0
Sprachen: Deutsch DD 2.0
Anbieter
Kauf-DVDBasis-Film Verleih