Nackt über Berlin (Miniserie)
Jannik und Tai, beide 17, haben es nicht leicht im Leben. Jannik ist dick und wird von Mitschülerinnen gemobbt. Tai hat vietnamesische Wurzeln und wurde zeitlebens diskriminiert. In der ARD-Miniserie „Nackt über Berlin“ sind sie es, die die Kontrolle und Macht über ihren Schuldirektor erlangen. Doch was als vermeintlich lustiger Streich beginnt, wird bald zum bitteren Ernst ...
Darum geht es in „Nackt über Berlin“:
Janniks Vater, ein Sporttrainer, kann mit seiner Leidenschaft für klassische Musik so gar nichts anfangen. Ständig macht er seinem Sohn Vorwürfe wegen seines Gewichts. Er wünscht sich, dass Jannik bald eine Freundin findet und schleift ihn schließlich sogar wegen einer Hormontherapie zu einem befreundeten Arzt. Da kann auch Janniks verständnisvolle Mutter wenig helfen. Tai musste als Kind einen Überfall von Neonazis auf seinen vietnamesischen Vater miterleben. Zusehen, wie die rechtsradikalen Schläger den Vater auf brutalste Weise mitten in Berlin am helllichten Tag in der Tram misshandeln. Alle schauten weg und Tai konnte nichts machen. Doch als er nachts zufällig den Schuldirektor Jens Lamprecht völlig betrunken beobachtet und mitbekommt, wie er wütend und unflätig seine Noch-Ehefrau durchs Handy anschreit, beginnt eine Zeit der Rache. Jannik und Tai verfrachten den Lehrer in dessen schickes Appartement hoch oben über Berlin. Dort regiert das Internet die Dinge. Die Wohnung ist smart. Alles funktioniert per Fingerschnipsen oder übers Handy. Zugänglich ist die Wohnung nur mit einem Chip. Ohne diesen lässt sich nicht einmal mehr die Wohnungstür von innen öffnen. Gleiches gilt für die Fenster aus Panzerglas.
Tai schnappt sich den Chip, zerstört den Internet-Router und Lamprechts Handy landet bald in der Spree. Als Lamprecht am nächsten Morgen aus dem Rausch erwacht, erkennt er ebenso schnell wie ungläubig, dass er ohne jede Kontaktmöglichkeit nach außen in seinem smarten Home komplett eingesperrt ist. Tai nimmt über Lamprechts Laptop unter dem Pseudonym „Gott“ Kontakt mit Lamprecht auf. Schnell begreift auch Jannick, dass es darum geht, dem Schuldirektor ein ganz spezielles Geheimnis zu entlocken. Dabei geht es um den Selbstmord der Mitschülerin Mel, in die sich Tai verliebt hatte. Um den arroganten und überheblichen Lamprecht zum Reden zu bringen, drehen sie ihm zuerst das Wasser ab, stellen den Strom für seine Wohnung aus und drehen die Fußbodenheizung auf die höchste Temperatur. Für Lamprecht beginnt eine martialische Tortur.
Lohnt sich die ARD-Miniserie „Nackt über Berlin“?
In sechs Episoden werden von Regisseur Axel Ranisch, der mit der Serie seinen eigenen gleichnamigen Roman verfilmte, die Hinter- und Abgründe des eingesperrten und entführten Lehrers Lamprecht aufgedeckt. Ganz im Stil angloamerikanischer Serienvorbilder wie „Marcella“ oder „How to get away with Murder“ werden in einigen Vorausblenden und vielen, kunstvoll einmontierten Rückblenden Lamprechts Eheprobleme, die Wut auf seine, sich von ihm trennende Ehefrau, aber auch die Liebe zu seinem Sohn Philipp aufgerollt, um dessen Computerspiel-Leidenschaft er sich Sorgen macht. Im zweiten Teil der Serie stehen dann die Geschehnisse in der Schule um Mels Selbstmord im Vordergrund. Zugleich erzählt Ranisch aber auch von der sexuellen Selbstfindung seiner Hauptfigur Jannick.
Als der sexuell selbstbewusstere Tai Jannick anmacht, fühlt der sich zwar angezogen, zögert aber Tais Zuneigung zu erwidern. Nach einer Phase zwischen scheuer Anziehung und brüsker Ablehnung, kann sich Jannick dazu bekennen, homosexuell zu sein und offenbart sein Schwulsein schließlich auch seinen Eltern. Ranisch gelingt es hervorragend, diese Freundschafts- und Liebesbeziehung der beiden jugendlichen Figuren sensibel und klug im Einklang mit der spannenden Enthüllungsgeschichte um Lamprechts Geheimnisse zu erzählen. Dabei bedient sich die Handlung jeder Menge bekannter Ost/West-Klischees und stereotypischer Ehe- und Beziehungsbilder. Ranischs Inszenierung spitzt diese Klischees und Stereotypen aber entweder dramatisch oder komisch dermaßen zu, dass dabei eine ebenso spannende wie amüsante und dadurch originelle Geschichte herauskommt. Dieser Charme der Serie wird dadurch unterstützt, dass sie voller witziger und kluger Regieeinfälle ist, wodurch Ranisch dem insgesamt hervorragenden Schauspielensemble viel Raum für die Entfaltung der Komik und Tragik ihrer Figuren gibt.
Werner Barg
Weitere Angaben
Filmtyp: Farbe