Mord im Orient Express

Der britische Regisseur und Schauspieler Sir Kenneth Branagh, der sich einst mit überaus gelungenen Verfilmungen des englischen Dramatikers William Shakespeare einen Namen gemacht hatte, hat sich nun offenbar auf die großen Detektivfiguren der Weltliteratur verlegt. Nachdem er für das britische Fernsehen BBC diverse Male als Henning Mankells schwedischer Ermittler Wallander vor der Kamera stand, hat er jetzt das Werk seiner Landsmännin, der englischen Krimiautorin Agatha Christie entdeckt. „Mord im Orient-Express“ ist wohl einer der berühmtesten Romane der Britin, die mit ihrem Mann, einem Archäologen um die Welt reiste und ihre Eindrücke nicht in Reiseberichten, sondern in raffiniert ausgeklügelten Krimiplots verarbeitete. In Christies Orient-Express trifft dann auch eine ebenso illustre wie zwielichtige Reisegesellschaft aufeinander, die zugleich ein Querschnitt durch die „bessere Gesellschaft“ Anfang/Mitte des 20. Jahrhunderts darstellt. Diesem Milieu entstammt die Autorin selbst und wohl auch daher lässt sie die allermeisten ihrer Geschichten in diesen „besseren Kreisen“ spielen.

Mit an Bord des Orient-Expresses ist der belgische Meisterdetektiv Hercule Poirot, den Branagh mit britischem Humor und Zurückhaltung verkörpert, wodurch er die Figur etwas anders anlegt als frühere Darsteller dieser Figur – etwa Albert Finney in Sidney Lumets Verfilmung von Christies „Mord im Orient-Express“ aus dem Jahr 1974. Wie in dieser Verfilmung die Reisegesellschaft von damals großen Stars wie Sean Connery, Lauren Bacall oder Richard Widmark verkörpert wurde, versammelt nun auch Branagh eine ansehnliche Schauspielerriege um sich. Mit dabei sind u.a. Michelle Pfeiffer, Judy Dench, Johnny Depp und Penelope Cruz. Gegenüber der Lumet-Verfilmung, die bis heute legendär geblieben ist und an der sich die Neuadaption daher messen lassen muss, bezieht Branagh die kurze Vorgeschichte aus dem Roman mit ein, um Poirot als „Meister der grauen Zellen“ gleich zu Beginn des Films einzuführen. Gleichfalls gibt es einige raffinierte Kamerafahrten von Kameramann Haris Zambarloukos, die allerdings in erster Linie dem Fortschritt der Filmtechnik geschuldet sind. Tricks, die Lumets Kameramann Geoffrey Unsworth damals schlicht noch nicht zur Verfügung standen. 
Die psychologische Spannung, die Lumet in seinem Film aufbaut, erreicht Branagh in seiner Verfilmung aber leider nicht. Er arbeitet alle Stationen der verwickelten Romangeschichte brav ab und setzt ein paar visuelle Gimmicks und vordergründige Effekte darauf. Wer Christies Story allerdings nicht kennt, wird über die Auflösung des Rätsels am Ende dieser Filmreise im Orient-Express doch wieder verblüfft sein.  

Werner Barg