Mary Shelley
Schon in jungen Jahren interessiert sich die kreative Mary für Schauergeschichten, was ihrem Vater, dem Philosophen und Buchhändler William Godwin, sehr missfällt. Um seine Tochter auf andere Gedanken zu bringen, schickt er sie zu einem Bekannten nach Schottland, wo sie dem aufstrebenden und revolutionär denkenden romantischen Dichter Percy Shelley begegnet. Die beiden verstehen sich auf Anhieb blendend, werden aber fürs Erste getrennt, als Mary zurück nach London reist. Percy sucht nur wenig später ihre Nähe. Und schon bald stürzen sich die beiden in eine stürmische Liebesbeziehung, die Vater William nicht gutheißen will. Immerhin ist Percy bereits verheiratet und hat mit seiner Frau sogar ein kleines Kind. Zunächst lässt sich Mary von den Offenbarungen verunsichern. Doch dann beschließt sie, gemeinsam mit dem Poeten und ihrer Stiefschwester Claire zu fliehen, um ein neues, von Zwängen befreites Leben zu beginnen. Sehr schnell erkennt allerdings die angehende Schriftstellerin, die in Kürze einen wirkmächtigen Roman zu Papier bringen wird, dass die Partnerschaft mit Percy auch gewaltige Schattenseiten hat.
200 Jahre sind mittlerweile vergangen seit der Veröffentlichung von „Frankenstein oder Der moderne Prometheus“ – so der vollständige Titel des berühmtesten Werkes aus der Feder Mary Shelleys. Und nach wie vor hat das Buch nichts von seiner Strahlkraft eingebüßt. Autoren und Filmemacher nutzen den Klassiker der Horrorliteratur weiterhin gerne als Inspirationsquelle und arbeiten sich mit großem Eifer an seinen spannenden Gedanken zur Identität und zu den Grenzen der Wissenschaft ab. In ihrem neuen Spielfilm nimmt die saudi-arabische Regisseurin Haifaa Al Mansour (Das Mädchen Wadjda) nicht nur die Entstehungsgeschichte dieses Literaturmeilensteins in den Blick, sondern befasst sich auch ausgiebig mit dem für das frühe 19. Jahrhundert ungewöhnlichen Lebensstil Marys, die sich nicht in eine feste Rolle pressen lassen wollte. Leider gelingt es dem durchaus ambitionierten Biopic nicht, seine interessanten Themen – zu nennen sind hier vor allem das Ringen um weibliche Selbstbestimmung, die Idee der freien Liebe und die Suche nach einer eigenen kreativen Stimme – zu einer durchgehend mitreißenden Emanzipationsgeschichte zu verbinden. Einige Passagen, die mehr Aufmerksamkeit verdient gehabt hätten, erscheinen zu episodenhaft. Manche Entwicklungen werden als zwangsläufig dargestellt, wirken tatsächlich aber etwas behauptet. Und regelmäßig lässt sich Al Mansour zu Ausflügen in den Bereich der Seifenoper hinreißen, was die Ausdruckskraft des biografischen Dramas doch spürbar schmälert. „Mary Shelley“ erzählt zweifelsohne von einer faszinierenden, da unkonventionellen Persönlichkeit, scheitert allerdings ein wenig daran, dem Zuschauer diese Faszination überzeugend zu vermitteln.
Christopher Diekhaus