Landschaft mit unsichtbarer Hand
Auch in Zeiten ständiger Neuankündigungen aus der Medienwelt kann es passieren, dass ein Film völlig unter dem Radar bleibt. Nur die Wenigsten dürften im November 2023 den Start von „Landschaft mit unsichtbarer Hand“ bei Amazon Prime Video mitbekommen haben. Warum so wenig Werbung für diesen Titel gemacht wurde? Klare Sache: Die Romanadaption nach M. T. Anderson bricht konsequent mit unseren Erwartungen und nutzt schrägen Humor, um soziale Verhältnisse zu kommentieren. Seltsam faszinierend!
Worum es in „Landschaft mit unsichtbarer Hand“ geht:
Fünf Jahre sind seit der Ankunft hochentwickelter Aliens auf der Erde vergangen. Die Vuvv, so der Name der außerirdischen Wesen, die wie eine Mischung aus Hähnchen und Krebs aussehen, kamen mit dem Versprechen eines großen Aufschwungs und übernahmen die Kontrolle über den Planeten. Von Glück und Wohlstand kann allerdings keine Rede sein. Nur wenige Menschen leben in den am Himmel kreisenden Städten der Invasoren und werden dort gut entlohnt. Die Meisten hingegen wohnen am Boden, stopfen künstliches Essen in sich hinein und sind ohne echte Perspektiven. Denn Schritt für Schritt werden alle möglichen Arbeiten technisiert. Nicht allzu rosig sieht es auch für den künstlerisch begabten Teenager Adam aus, der mit seiner Mutter Beth und seiner Schwester Natalie immerhin noch ein Dach über dem Kopf hat.
In der Schule lernt er die gleichaltrige Chloe kennen, die mit ihrem Vater und ihrem Bruder verzweifelt nach einer Bleibe sucht. Aus Mitleid bringt Adam das Trio kurzerhand im Keller seines Elternhauses unter. Und nicht nur das: Zwischen ihm und Chloe scheint es zu funken. Die sich anbahnende Beziehung möchte sie nutzen, um etwas Geld zu verdienen. Wie? Gar nicht so schwer! Adam und Chloe müssen am Kopf eine Art Sender tragen, der ihr Leben als Livestream an die von menschlicher Liebe faszinierten Vuvv überträgt. Je mehr Außerirdische den beiden beim Daten zuschauen, umso mehr Kohle kommt in die Kasse. Natürlich geht das nur eine Weile gut …
Warum „Landschaft mit unsichtbarer Hand“ uns permanent herausfordert:
Zugegeben, der Inhalt klingt verdächtig nach einer dieser „Boy meets girl“-Nummern, halt nur in einem Science-Fiction-Setting. Dass „Landschaft mit unsichtbarer Hand“ anders ist, deutet jedoch schon der Einstieg an. Wo viele dystopische Filme mit Infotexten und Dialogen arbeiten, um ihre Zukunftswelt fassbar zu machen, setzt Regisseur und Drehbuchautor Cory Finley auf die visuelle Kraft. Durch einige Bilder, die Adam seit Beginn der Übernahme gemalt hat, bekommen wir gleich ein Gefühl für die Situation und die trostlose Stimmung. Wer nach dem ersten Drittel auf eine Lovestory mit typischen Verwicklungen hofft, wird bitter enttäuscht. Viel Raum bekommt fortan nämlich der Blick auf die Familie und die gesellschaftliche Lage, wobei der Ton stets satirisch bleibt. Was passiert, wenn immer mehr Menschen durch Maschinen ersetzt werden? Welchen Wert hat Kunst, wenn sie beliebig vervielfältigt wird? Welche Rollenbilder vermitteln Filme und Serien? Wie wirkmächtig sind patriarchale Strukturen? Und warum halten sich rassistische Denkmuster am Leben? „Landschaft mit unsichtbarer Hand“ wirft viele spannende Fragen auf, reißt manches zwar nur an, überrascht allerdings immer wieder mit cleveren Zuspitzungen. Amüsant und schmerzhaft zugleich sind zum Beispiel die Beschwerden von Chloes Vater und ihrem Bruder. Statt Beths Unterstützung zu schätzen, werfen sie Adams Mutter vor, ihnen erst recht das Gefühl zu geben, komplett hilflos zu sein. Im Keller einer afroamerikanischen Familie unterzukommen, empfinden sie augenscheinlich als erniedrigend. Und so lassen sie keine Gelegenheit aus, um ihre eigene Handlungsfähigkeit zurückzuerobern.
Dass einige Plot-Elemente im Sande verlaufen und Chloe irgendwann nur noch eine Nebenrolle spielt, mag irritieren oder gar frustrieren. Wie sehr würde man sich in vielen anderen Filmen aber über ein paar unerwartete Brüche freuen? „Landschaft mit unsichtbarer Hand“ ist auf kühne Weise unberechenbar und gibt uns allerhand Denkanstöße – auch wenn das letzte Drittel für seine Ideen und Wendungen zu knapp ausfällt.
Christopher Diekhaus
Weitere Angaben
Filmtyp: Farbe