Kabul, City In The Wind
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Über drei Jahre hinweg hat Aboozar Amini den Alltag zweier Familien in West-Kabul mit der Kamera nachgezeichnet. Er konzentriert sich dabei auf zwei Hauptfiguren: den 12-jährigen Afshin und den 45-jährigen Abas.
Worum sich die Doku „Kabul, City In The Wind“ dreht:
West-Kabul war und ist Ziel zahlreicher Terrorattentaten und Selbstmordanschläge, die von der Taliban und dem Islamischen Staat (IS) ausgehen. Afshin und sein jüngerer Bruder Benjamin wohnen auf einem der Hügel von West-Kabul. Als der Vater, ein ehemaliger Soldat der afghanischen Regierungstruppen, der gegen die Taliban kämpfte, das Land aus Sicherheitsgründen verlassen muss, trägt Afshin als ältester von drei Söhnen die Verantwortung. Bisher kannte er nur Krieg und Terror und das Wissen darüber, dass sein Vater nur knapp einem Selbstmordanschlag entgangen ist, hat sich tief in sein Bewusstsein eingegraben. Die zweite Hauptfigur, der 45-jähriger Busfahrer Abas, kämpfte schon sein ganzes Leben lang ums Überleben. Er ist Familienvater und hat drei Kinder. Mit dem Kauf eines alten Busses für den Transport von Passagieren hat er sich übernommen und rutscht immer tiefer in die Schuldenfalle.
Was „Kabul, City In The Wind“ besonders macht:
Nur wenige zentrale Interviews, historische und politische Konflikte werden weitgehend ausgespart beziehungsweise nur kurz angerissen. Stattdessen konzentriert sich Aboozar Amini darauf, ganz genau zu beobachten und Stimmungen einzufangen. Streckenweise wirkt Aboozar Aminis Film dadurch ungemein poetisch. Er entwirft das vielschichtige Porträt einer mit Terror, Krieg und Tod kämpfenden Stadt, die von einem stets hörbaren Wind, Staub und der ständigen Furcht vor Selbstmordanschlägen geprägt ist. Besonders sticht die Tonspur hervor, die auf nichtsprachliche Weise wie ein Kommentar des Regisseurs wirkt. Es sind immer wieder seltsam melodische Töne zu hören, die von Kindern erzeugt werden, die im Inneren eines Panzerwracks mit Steinen auf metallische Oberflächen klopfen. Kinder, die sich ein Objekt der Vernichtung für ihre fantasievollen Zwecke zu Nutze machen. Dass die Bewohner*innen von West-Kabul bereits lange vor dem Abzug der amerikanischen Streitkräfte und der internationalen Schutztruppen (nach Filmende) einer ungewissen und wenig hoffnungsvollen Zukunft entgegensahen, ist in „Kabul, City in the Wind“ mit allen Sinnen spürbar. Vor dem Hintergrund, dass die Taliban 2021 erneut die Macht in Afghanistan übernommen haben, mag man sich kaum vorstellen, wie das heute aussieht. Immerhin gelang es dem Filmemacher, wenigstens Afshin und seine Familie aus dem Land herauszuholen.
Holger Twele
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