Giant Little Ones
Man sagt, das kanadische Schulsystem sei eines der besten der Welt. Zumindest gilt das Verhältnis von Schülern und Lehrern als vorbildlich. Es scheint also so etwas wie einen besonderen „High School Spirit“ zu geben, den auch Filme aus dem Nachbarland USA häufig in Coming-of-Age-Plots beschwören. Gemeint ist jene Mischung aus Schulsport, wilder Musik, noch wilderen Partys und vielen Grenzüberschreitungen in Sachen Drogen, Alkohol und Sex.
„Giant Little Ones“ scheint diese Muster perfekt zu bedienen, bis dann aber etwas geschieht: etwas Ungeplantes, etwas Vehementes, das nicht mehr rückgängig zu machen ist. Eben erst war für Franky die Welt noch in Ordnung. Alles lief in üblichen Bahnen, er gab sich cool, war stolz und selbstsicher, vielleicht ein Stück überheblich, aber nicht zu arrogant. Zusammen mit seinem besten Freund Ballas war er ein starkes Duo. Im High-School-Schwimmteam standen sie auf der Seite der Gewinner, wer nicht mithalten konnte, wurde leichtfertig als „schwul“ abgestempelt. Ist doch alles nur ein Spiel. Ein Spiel ist für Franky und Ballas auch der Umgang mit Mädchen. Sexuellen Eroberungen jagen sie nach als wäre es nur eine „Sportdisziplin“ der anderen Art. Die Mädchen ticken nicht anders. Aber im Rausch einer Nacht kommt alles anders und wird alles anders: Franky und Ballas haben Sex - miteinander.
So schonungslos und direkt der Film bis hierhin die Alltagsrituale vor Augen führte, so rigoros nimmt er sich nun zurück. Ballas weist alle „Schuld“ von sich, verrät Franky und überlässt ihn den homophoben Anfeindungen der „Meute“. Für Franky war das sexuelle Erlebnis jener Nacht lediglich eine Spontanhandlung, später wird er sagen, dass es sich eher normal angefühlt habe. Alle von außen an ihn herangetragenen Urteile, Vorurteile und auch die demonstrativ „verständnisvollen“ Ansichten zielen am Kern vorbei, denn für Franky geht es gar nicht darum, ob er nun schwul ist oder nicht! Stattdessen ist es zutiefst bewegend zu verfolgen, wie er allmählich seine Sinne schärft, seine eigenen Prioritäten setzt und sich frei macht für andere Wahrnehmungen und Wertungen. Grandios gespielt, einfühlsam inszeniert, ohne in Kitsch oder falsche Melodramatik abzurutschen, ermöglicht der Film andere Sichtweisen, weckt Zuneigung und Empathie für alle, die zuvor an den Rand gedrängt wurden. Wie sich Franky und Natasha, Ballas‘ durch ein schlimmes Erlebnis traumatisierte Schwester, einander annähern, gefühlvoll, aufrichtig und zärtlich, das wird zum zentralen Erlebnis des Films. Es fühlt sich tröstend und befreiend an.
Horst Peter Koll
Weitere Angaben
Filmtyp: Farbe
Sprachen: Deutsch, Englisch