Elaha
Mit ihrem Abschlussfilm durfte Regie-Newcomerin Milena Aboyan gleich auf der diesjährigen Berlinale in der Sektion „Perspektive Deutsches Kino“ Weltpremiere feiern: Gleichermaßen sensibel und konsequent geht sie dem inneren Konflikt einer jungen Deutsch-Kurdin auf den Grund, die sich zwischen Traditionstreue und Emanzipation entscheiden muss. Ein beachtenswertes Debüt über weibliche Selbstbestimmung – mit einer fulminanten Durchbruchsperformance von Bayan Layla in der Titelrolle!
Darum geht es im Film „Elaha“:
„Ich gebe dir alle Freiheiten: Ich will nur, dass du auf mich hörst!“ – Schwer erträgliche, machohafte Widersprüchlichkeiten wie diese muss die 22-jährige Elaha (Bayan Layla) mehrfach schlucken: Dieses Beispiel stammt von Nasim (Armin Wahedi), ihrem Verlobten. Ein beengend quadratisches Bildformat schnürt einem im weiteren Verlauf des Films regelrecht die Luft ab. Elaha steht vor einem gravierenden Problem: Sie ist keine Jungfrau mehr, obwohl dies von ihr erwartet wird. Wie aber das vertuschen? Von ihrer strengkonservativen Mutter kann sie keine Hilfe erwarten – die hätte ihre Tochter „lieber tot als entehrt.“ Und ihr Hymen chirurgisch wiederherstellen zu lassen, kostet Geld, das sie nicht hat. Als die ihr bestimmten Schwiegereltern auch noch auf einen ärztlichen Nachweis bestehen, zieht sich die Schlinge zu. Elaha sieht sich zusehends mit der Frage konfrontiert, ob sie diejenige ist, die sie eigentlich sein will.
Was dieses Drama besonders macht:
Regisseurin Milena Aboyan zeichnet mit großer Stilsicherheit die psychologisch komplexe Innenschau einer jungen Frau, die sich vor eine schwierige, wenn nicht gar unmögliche Entscheidung gedrängt sieht: Gliedert sie sich in die starren Traditionen ihrer Familie ein oder emanzipiert sie sich, wählt ein anderes Lebensmodell mit mehr Freiheiten und ist fortan ohne familiäre Rückendeckung auf sich allein gestellt? Das Ringen mit den Erwartungshaltungen wird in „Elaha“ sehr einfühlsam und mittels glaubwürdiger Dialoge dargestellt. Vor allem Bayan Layla transportiert die Verzweiflung und das Dilemma ihrer Figur mit einer mitreißenden, vibrierenden inneren Unruhe: Jede Millisekunde bangt man mit ihr, fürchtet sich vor ihrer „Enttarnung“, die ihr einen Skandal bescheren würde. Zugleich empfindet man Verständnis für ihre Zögerlichkeit. Wie schwierig muss es sein, sich gegen familiäre Werte zu stellen! Dieser Schritt würde sie immerhin unumkehrbar von ihren Angehörigen und ihren Freund*innen trennen.
Nicht nur in schauspielerischer, sondern auch in ästhetischer Hinsicht punktet das intensive Drama mit Detailverliebtheit: Bildkompositionen in Grün- und Blautönen zollen der jesidischen Mythologie Tribut, denn diese sind die Farben des Pfaus, der darin eine wichtige Rolle spielt. „Elaha“ ist ein beklemmender, wichtiger und unbedingt sehenswerter Film über frauenfeindliche Machtstrukturen und komplexe soziale Hindernisse, die ein Ausbruch aus beschränkenden kulturellen Zwängen mit sich bringen kann.
Nathanael Brohammer
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Filmverleihcamino