Eine total normale Familie

Film: Eine total normale Familie
Länge:
97 Minuten
Altersempfehlung:
Ab 12 Jahren
FSK-Freigabe:
Ab 6 Jahren
Regie:
Malou Leth Reymann
Darsteller:
Kaya Toft Loholt (Emma), Mikkel Boe Følsgaard (Thomas/Agnete), Rigmor Ranthe (Caroline), Neel Rønholt (Helle), Jessica Dinnage (Naja)
Genre:
Drama , Tragikomödie
Land:
Dänemark, 2019

Zunächst ist da nur ein Ton, das leise Geräusch eines Babys. Dann kommt das Bild hinzu, verwackelt, leicht unscharf, aufgenommen mit einer nicht allzu modernen Videokamera. Sanft, zärtlich und unendlich stolz redet der Kameramann auf seine neugeborene Tochter ein: „Bist du das?“, fragt er, trägt sie durch die Wohnung, zeigt ihr erst die Mutter, dann die große Schwester – und dann den Fernseher, auf dem gerade live ein Fußball-Länderspiel übertragen wird. „Bist du eine kleine Fußballerin?“, fragt er das Baby, das zufrieden in die Kamera lächelt. Fortan sieht man immer mal wieder solche Szenen aus älteren Familienvideos, aufgenommen von Vater Thomas, der mit großer Begeisterung seine Frau Helle sowie ihre gemeinsamen Töchter Caro und Emma aufnimmt und ihr Größerwerden dokumentiert. Jeder kennt wohl solche „Familien-Schnappschüsse“, die über Generationen und Zeiten hinweg vor allem eines verbindet: Sie wollen das Glück einer jungen Familie und die unbeschwerte Kindheit des Nachwuchses festhalten. So ist es auch bei Caro und der drei Jahre jüngeren Emma.

Als die Handlung des Films einsetzt, ist Emma 11, ihre Schwester Caro 14, beide verbringen ihren Alltag mit Schule, Sport und ihren Eltern Helle und Thomas, mal streiten sie sich, mal sind sie beste Freundinnen. Emma spielt Fußball in einer Mädchenmannschaft, vom Spielfeldrand aus feuert Thomas sie an und ist dabei in Emmas Augen oft „voll peinlich“. Auch dass Thomas sie in ihrem sportlichen Ehrgeiz mitunter bremst und darauf hinweist, bei der Beurteilung von Menschen keine voreiligen Schlüsse zu ziehen, gehört dazu. Insbesondere die letzte Äußerung wird in diesem Film noch eine besondere Rolle spielen. Denn Emma spürt zwar, dass irgendetwas mit Thomas ist, fällt aber trotzdem aus allen Wolken, als ihre Mutter die Bombe platzen lässt: „Wir lassen uns scheiden.“ Und bevor sie und Caro den Schock verdauen können, kommt der nächste gleich hinterher: „Wir lassen uns scheiden, weil Vater eine Frau sein will. Er möchte eine Geschlechtsumwandlung, will sich als Frau fühlen.“

Da sitzen Emma und Caro nun, erschrocken, ratlos, verunsichert. Nur schwer können sie sich in die komplett neue Situation hineinversetzen, dass ihr Vater Thomas sich mit seiner Geschlechtsanpassung von einer schweren seelischen Not befreit und ab jetzt Agnete genannt werden möchte. Ab diesem Moment geht es um den anstrengenden, aber zunehmend auch befreienden Eingewöhnungsprozess aller. Nach dem operativen Eingriff und der Geschlechtsumwandlung lädt Agnete ihre Töchter in ihre neue Wohnung ein, feiert mit ihnen Geburtstag, fährt mit ihnen nach Mallorca, feiert im Kreis aller Verwandten Caros Konfirmation und begleitet Emma sogar wieder zum Sportplatz. Oft tun sich dabei schockartig Abgründe auf, gerade für Emma. Dabei hat sie gar nicht so viele Probleme mit ihrem „neuen“ Vater. Weit mehr sind es Sorgen, die sie mit vielen Gleichaltrigen teilt, etwa wenn sie gehänselt und gemobbt wird, oder wenn sie gekränkt und enttäuscht ist, weil sie sich von einem Elternteil zurückgesetzt, übergangen oder einfach nicht genug gewürdigt fühlt. In solchen Momenten ringt Emma tatsächlich mit sich selbst und droht sich mitunter in ihrer tieferen Verunsicherung zu verlieren. Die Kamera beobachtet sie in solchen Momenten ganz genau, wobei sich in Emmas Gesicht viel lesen lässt und sich viele Geschichten abspielen.

Ein wenig schade ist es, dass sich der Film vorwiegend auf die Beziehung von Emma und Agnete konzentriert. Damit zeigt er zwar sehr eindrucksvoll, spannend und intensiv, wie sehr Emma ihren Vater liebt, während er sie oft dadurch kränkt, dass sich zu vieles um seine neu gefundene Weiblichkeit dreht, etwa wenn er Verabredungen umwirft und ihre gemeinsame Leidenschaft für Fußball vernachlässigt. Mutter Helle hingegen gerät oft in den Hintergrund,  ist fast ausschließlich in den alten Familienvideos präsent. Hier zeigt sich dann vor allem ihr eigenes Glück als Mutter, während sie ihr neues Leben ohne Thomas erst noch (er-)finden muss. Allerdings spürt man, dass das Fundament dafür durchaus gegeben ist. Denn der Film macht auf ganz wunderbare Weise deutlich, dass alle in dieser „total normalen“ Familie bereit sind, jemanden zu lieben, der nun anders ist. Das hat viel mit ihrer Neugier, Toleranz, Offenheit und gegenseitigem Respekt zu tun – und mit der Bereitschaft, Veränderungen anzunehmen und als neues Abenteuer zu verstehen.

Horst Peter Koll

Weitere Angaben

Filmtyp: Farbe

Streaming-Anbieter

Angaben beruhen auf Informationen zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung (5. Woche 2021).