Durch die Wand - The Dawn Wall

An einer glatten, steil nach unten abfallenden Granitwand hängen zwei kleine Zelte. In ihnen kauern zwei Kletterer in vierhundert Metern Höhe. Das Handy klingelt. Ein Reporter der New York Times ist dran. Er will von einem der Kletterer, Tommy Caldwell, wissen, warum er dieses waghalsige Unternehmen mit seinem Kletterkumpan Kevin Jorgeson unternimmt. Es geht um die Erstbesteigung der 1000 Meter hohen Granitwand namens „Dawn Wall“, deshalb so genannt, weil sie im Licht der aufgehenden Sonne im Yosemite Nationapark so schön und einmalig leuchtet. Caldwell und Jorgeson erklettern den, nur von winzigen, haarrissgroßen Spalten durchzogenen Steinmonoliten mit bloßen Hände, ohne Kletterhilfen, wohl aber gut angeseilt. Der Dokumentarfilm von Josh Lowell und Peter Mortimer nutzt den spektakulären Megaevent des Extremsports, über den 2015 auf allen Kanälen der US-Sender berichtet wurde, als „roten Faden“ für eine vielschichtige Handlung, die zum einen die Vorgeschichte und Entwicklung des Kletterstars Tommy Caldwell erzählt und zum anderen von der Freundschaft zwischen Caldwell und Jorgeson berichtet, die sich umso mehr festigt je schwieriger die Kletterpartie wird.

Für Caldwell fing alles mit den Klettertouren an, auf die ihn sein Vater, ein bekannter US-Bodybuilder und Bergsteiger, schon seit dem 6. Lebensjahr mitnahm. Im Klettern fand Caldwell schnell seine große Leidenschaft und beim Bezwingen der kahlen Bergwände auch seine erste große Liebe. Sie geht nach einem tragischen Zwischenfall in den Bergen von Kirgisistan kaputt. Caldwells Besssenheit, sich an Bergspalten so scharf wie Rasierklingen die Fingerkuppen aufzuschneiden, blieb. Sein Training wurde härter. Auch als er bei einem Unfall einen Teil des Zeigefingers der rechten Hand verliert, gibt er nicht auf. Im Gegenteil: Er gewinnt immer neue Trophäen und bezwingt auch die steile, glatte Felswand, die stolz im Yosemite Nationalpark aus der Schluchtenlandschaft hervorragt, auf allen verfügbaren Routen. Nur die Route über die im Grunde komplett glatte „Dawn Wall“ hat er noch nicht geschafft. Ab 2009 beginnt er mit seinem Partner Jorgeson Stück für Stück nach Teilrouten zu suchen, nun auch dieses Hindernis zu überwinden.

Für Lowell/Mortimers Film begibt sich das Filmteam um Kameramann Corey Rich mit an die Wand. Das „Making of“, das sich im Bonusmaterial zur BluRay befindet, zeigt, wie das Team, an Seilen hängend, Caldwell und Jorgeson auf Augenhöhe mit der Kamera begleiten. So gelingen sensationelle Aufnahmen von den unermüdlichen Bemühungen der beiden Extremsportler, die „Dawn Wall“ zu bezwingen. Detailaufnahmen von den bloßen Händen am glatten Granit, die immer wieder abrutschen, bis sie irgendwann doch einen winzigen, millimeterdicken Halt finden irgendwo an einem kaum wahrnehmbaren Felsvorsprung. Solche Details, die dem Publikum Klettern als Extremsport und die damit verbundenen körperlichen Anstrengungen sehr nah bringen, wechseln sich ab mit grandiosen Landschaftsaufnahmen der „Dawn Wall“ selbst und der Felsenlandschaft des Yosemite Nationalparks. Ergänzt werden diese dokumentarischen Bilder durch TV-Berichte über den Kletterevent 2015, persönliche Kindheits- und Jugendbilder der beiden Protagonisten sowie durch eine Animation, die die Vorgänge in den kirgisischen Bergen nachzeichnet. Eine gelungene Mischung aus Naturdokumentation und Abenteuergeschichte, die maßgeblich von "Red Bull Media House" produziert wurde, die Produktionsfirma der Marke "Red Bull", die auf ihrem TV-Sender "Servus TV" sowie im gesamten Marken-Branding Extremsport extrem featured.

Werner Barg