Deutscher

Film: Deutscher
Serienstart:
25.04.2020
Staffel:
1
Folgen:
4
Länge der Folgen:
42 Minuten
Altersempfehlung:
Ab 14 Jahren
FSK-Freigabe:
keine Angabe
Regie:
Sophie Linnenbaum, Simon Ostermann
Darsteller:
Milena Dreißig (Ulrike Pielcke), Thorsten Merten, (Frank Pielcke), Johannes Geller (Marvin Pielcke), Meike Droste (Eva Schneider), Felix Knopp (Christoph Schneider)
Genre:
Drama
Land:
Deutschland, 2020

Fiktionale Geschichten sind letztlich alle „Was wäre, wenn“-Geschichten: Was wäre, wenn Menschen einen Hyperdrive entwickeln und ins All aufbrechen würden? Was wäre, wenn eine Killermaschine aus der Zukunft in die Vergangenheit reisen würde, um eine ganz bestimmte Person zu ermorden? Und was wäre, wenn Elyas M'Barek wirklich als Lehrer tätig wäre? In den meisten Werken stellt sich die „Was wäre, wenn“-Frage allerdings gar nicht, weil das Setting als eine von unserer Realität mehr oder weniger abweichende Version der Wirklichkeit erkennbar ist. Die ZDF-Serie „Deutscher“ ist da anders, weil sie explizit von unserer Wirklichkeit ausgeht und konkret die Frage stellt: Was wäre, wenn in Deutschland eine rechtspopulistische Partei die absolute Mehrheit bei der Bundestagswahl erlangen würde? Über die Antwort ist sich die vierteilige Miniserie aber nicht so ganz im Klaren.


Darum geht es in der Miniserie „Deutscher“:


Irgendwo in Deutschland: In einem roten Haus wohnt die Familie Schneider – Eva (Meike Droste), Christoph (Felix Knopp) und Sohn David (Paul Sundheim) – neben Familie Pielcke – Ulrike (Milena Dreißig), Frank (Thorsten Merten) und Sohn Marvin (Johannes Geller) – im blauen Haus. Sie sind nicht sonderlich eng miteinander befreundet, helfen sich aber nachbarschaftlich, die Söhne gehen auf die gleiche Schule und sind miteinander aufgewachsen. Als eines Tages die Bundestagswahl ansteht, eine rechtspopulistische Partei immer weiter Boden gut macht und schließlich die Wahl mit absoluter Mehrheit gewinnt, sind die Schneiders schockiert, während die Pielckes nicht viel Schlechtes an dem Ergebnis erkennen können. In der kommenden Zeit nehmen die Spannungen zu und während die Schneiders hadern, profitieren die Pielckes von der neuen Situation – auch aufgrund von einflussreichen Kontakten aus dem rechten Spektrum …


Warum „Deutscher“ bemerkenswert unpolitisch ist:


Moment mal – unpolitisch? Wie kann das sein bei einer Serie, deren gesamter Aufhänger ein politisches Erdbeben ist? So seltsam dies klingt, so sehr steht dieser Eindruck nach Abschluss der vier Folgen im Raum. Was „Deutscher“ erzählen möchte, mag von der Intention her gut sein und manchmal gelingt es der Miniserie auch, eine bemerkenswerte Balance in seinen Figuren zu finden. Denn allzu Schwarz/Weiß wir hier gar nicht vorgegangen: die Pielckes sind keine herzlosen Monster, die ihre Nachbarn sofort an die Gestapo verraten würden und die Schneiders sind keine durch und durch gutherzigen Menschen, die immer den richtigen Ton anschlagen. Vor allem dank der guten Schauspieler*innen ist „Deutscher“ besonders zu Beginn durchaus involvierend und umschifft viele Klischee-Schlaglöcher, die schon fast erwartbar waren. Je länger die Serie aber voranschreitet (und dank der dichten Inszenierung vermitteln die 42 Minuten pro Folge das Gefühl, sehr viel länger in diesem Kosmos zuzubringen), desto mehr wird das Problem der Serie offenbar: Die Partei, die die Wahl gewonnen hat, bleibt stets nebulös, ebenso ihre politische Arbeit und wie sich diese auf den Alltag der Figuren auswirkt.

Alles, was den Menschen hier zustößt, bricht der Film auf eine individuelle Ebene herunter, die losgelöst von der politischen Situation im Lande zu sein scheint. Die Frau, die in der Apotheke ihren rassistischen Ansichten freien Lauf lässt? Gäbe es auch ohne Parteisieg. Die Neonazis, die einen türkischstämmigen Mann zusammenschlagen? Brauchen kein Parteibuch für ihre „Motivation“. Die offen zur Schau getragene Frauenfeindlichkeit einer Nachwuchs-Glatze? War doch schon immer so. Will sagen: So gut wie alles, was in „Deutscher“ passiert, illustriert eher eine Gesellschaft auf dem Weg dorthin, wo die Serie startet, und da wir nichts über die Zeit davor erfahren, vor allem im Kontext des Schulalltags von David und Marvin, ensteht der Eindrucks, alle Menschen würden plötzlich rassistisch und populistisch werden, eben weil die besagte Partei gewonnen hat und nicht, weil sie bereits vorher Tendenzen in diese Richtung gezeigt haben. Wenn die Serie illustrieren möchte, dass sich auch vorher eher unauffällige Menschen durch die politische „Legitimation“ in Form einer rechten Regierung zu menschenverachtenden Worten und Taten hinreißen lassen, fehlen die inszenatorischen Kniffe, wie eben jene Regierung dies bewerkstelligt. Ein in weiter Ferne schwebendes amorphes Etwas, dass nie in die Handlung eingreift sondern nur halbherzig behauptet wird, ist an dieser Stelle zu wenig.

Besonders ärgerlich: Genau an der Stelle, an der die Fragen und Gedanken über die Vorgärten der Pielckes und Schneiders hinausgehen hätten müssen, endet die Serie. Als Vorzeige-Fascho Olaf (Junis Marlon) beginnt, seine vagen politischen Vorstellungen auch mit Gewalt gegen Andere durchzusetzen und die Serie in die Bedrängnis kommen könnte, die Arbeit von Ermittlungsbehörden und Polizei in einem von einer rechtspopulistischen Partei in Alleinherrschaft regierten Deutschland zeigen zu müssen, konzentriert sie sich lieber auf die zwei Familien, die sich irgendwie wieder zusammengerauft haben. Und besonders bitter: Während diese um ein Krankenbett versammelt vor sich hin grinsen, hängen die Geschichten und Schicksale anderer Figuren mitunter äußerst prekär in der Luft.


Unser Fazit zu „Deutscher“:


Alles nicht so schlimm, wir kommen schon miteinander klar, auch wenn das Kreuz auf dem Wahlzettel an unterschiedlichen Stellen gemacht wurde, auch wenn das eine Kreuz es nicht gut mit allen Menschen meint? Am Ende des Tages ist „Deutscher“ eine seltsame Mischung aus Holzhammer und Samthandschuhen, bemüht politisch, ohne Ursachen und Wirkungen politischen Handelns analysieren zu wollen. Und dann zu Ende, wenn es wirklich ans Eingemachte gehen müsste.

Jan Noyer

Weitere Angaben

Filmtyp: Farbe

Streaming-Anbieter

Angaben beruhen auf Informationen zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung (17. Woche 2020).