Dead Girls Dancing
Endlich Abitur. Das lange Lernen, die Prüfungen sind geschafft. Das Leben liegt vor dir. Aber musst du direkt eine Antwort auf die Frage haben, wie es danach weitergeht? Wie gut, wenn es okay ist, erstmal keinen Plan zu haben. In Anna Rollers bemerkenswert souveränem Debütfilm „Dead Girls Dancing“ sind Ira und ihre Freundinnen fest entschlossen, sich treiben zu lassen und den Sommer zu genießen, bevor der ‚Ernst des Lebens‘ für sie beginnt.
Darum geht es in „Dead Girls Dancing“:
Manchmal würde Ira gerne verschwinden. Und das tut sie auch auf ihrer Abiturfeier, wenn sie kurz unter den Tisch kriecht, weg von ihrer stolzen Familie, die es doch nur gut meint mit Fragen nach den Zukunftsplänen der jungen Frau. Aber Ira hat noch keinen Plan – auch nicht als sie zusammen mit ihren Freundinnen Ka und Malin nach Italien fährt. So müssen die drei notgedrungen im Auto übernachten, weil alle Unterkünfte im Ort schon ausgebucht sind. Doch das tut ihrem Spaß und ihrer Reiselust keinen Abbruch. Vierte im Bunde wird die Italienerin Zoe, die sie unterwegs mitnehmen. Zoe hat keine Eltern mehr und scheint so frei und ungebunden, dass sie besonders Ira fasziniert. Eine Autopanne lässt die Gruppe unfreiwillig stranden. Hilfe kann erst in ein paar Tagen kommen. Die jungen Frauen entdecken ein Dorf in der Nähe, das komplett verlassen ist. Als hätten seine Bewohner von jetzt auf gleich alles stehen und liegen lassen. Das beunruhigt Ira und ihre Freundinnen nicht. Im Gegenteil. Es lässt sie übermütig werden. Hemmungslos werden Häuser durchforstet, der Supermarkt geplündert, aus der Kirche Kerzen und Wein entwendet. Auch ein Gewehr finden die Mädchen. Doch Malin wird mulmig. Sollten sie nicht langsam gucken, dass sie wegkommen? Da kehrt ein Auto mit zwei Männern ins Dorf zurück. Ira trifft eine folgenschwere Entscheidung.
Was diesen Film sehenswert macht:
Ein Roadtrip nach dem Abitur – das klingt zunächst nach einer nicht wahnsinnig originellen Coming-of-Age-Story. Tatsächlich startet die Reise in „Dead Girls Dancing“ mit Bildern, die man so ähnlich schon gesehen hat: Kopf aus dem Autofenster gestreckt, vorbeiziehende sonnendurchflutete Landschaft, Freiheitsgefühl. Doch Anna Roller zeichnet in ihrem ersten Langfilm ein sensibles Porträt von vier jungen Frauen und dem, was zwischen ihnen entsteht, wenn sie ganz auf sich gestellt und vollkommen sorglos sind. Unmerklich wird die Einigkeit der Gruppe dabei zunehmend auf die Probe gestellt. Während sich bei Malin das Gewissen meldet, wollen Ka und Ira nicht aufhören: „Das ist unsere letzte Chance, mal nicht vernünftig zu sein.“ Ist Zoe dabei eher Vorbild und Ansporn, Freiheit maximal auszureizen, oder kann man ihr nicht trauen? Unsanft wird vor allem Ira schließlich von der Realität eingeholt, als sie selbst dafür sorgt, dass der Ernst des Lebens plötzlich und unerbittlich beginnt. „Dead Girls Dancing“ erzählt so eine kleine aber nicht minder eindrucksvolle Geschichte vom Erwachsenwerden, die durch starke Schauspielerinnen, atmosphärische Bilder und rhythmischen, dichten Schnitt intensiv nachwirkt. Dass der Film, der Anna Rollers Abschlussarbeit an der Filmhochschule ist, eine Doppelpremiere beim Filmfest München und dem Tribeca Film Festival feiern durfte und auf weiteren namhaften Festivals zu sehen war, verwundert nicht und macht neugierig auf die nächsten Schritte der jungen Filmemacherin.
Kirsten Loose