Cold Skin - Insel der Kreaturen
Ausstieg aus einer Zivilisation, die zwischen verhärteten Fronten zerrieben wird – in mancher Hinsicht sind sich das Spielfilm-Debüt von Xavier Gens vor rund zehn Jahren und dessen neuester Streifen erstaunlich ähnlich. Handwerklich hat der französische Regisseur dabei große Schritte gemacht, inhaltlich wendet er sich der Vergangenheit zu. Während in „Frontier(s)“ (2007) noch die Flucht arabisch-französischer Jugendlicher aus einem von Rechtsextremen übernommenen Paris auf dem Programm stand, geht es in „Cold Skin“ um einen jungen Iren, der Europa auf der Schwelle zum Ersten Weltkrieg den Rücken kehrt.
Sein Name ist Friend – und er hat den wohl einsamsten Job der Welt gewählt. Von einem Frachter-Kapitän, der ihn „mit der Höflichkeit eines Henkers“ behandelt, wird Friend auf einer felsigen Insel nahe der Antarktis abgesetzt. Dort hat er den Auftrag, das Wetter zu beobachten. Seinen Vorgänger finden Friend und die Matrosen nicht vor, das Haus des Wetterbeobachters ist verwüstet und verlassen. Im einzigen anderen Gebäude der Insel, dem mit merkwürdigen Speer-Vorrichtungen ausgebauten Leuchtturm, stoßen sie auf Gruner. Dieser Hüne sagt ihnen, dass der letzte Wetterbeobachter an Typhus erkrankt und verschwunden ist. Ansonsten sagt er nicht viel. Doch obwohl die Gesellschaft auf der Insel also einfältig und mürrisch ist und die Atmosphäre auf unbestimmte Weise nichts Gutes verspricht, bleibt Friend seinem Auftrag treu. Der Frachter sticht wieder in See und der junge Mann richtet sich im Haus des Wetterbeobachters ein. Die erste Nacht vergeht ruhig – in der zweiten hat's mit der Stille ein jähes Ende.
„Im Rausch der Stille“ – als 2005 der Debütroman des Katalanen Albert Sánchez Piñol in deutscher Übersetzung herauskam, wurde sie für ihren Titel kritisiert: Die Insel in dieser Geschichte hält für seine menschlichen Bewohner vieles bereit, doch Stille ist es nicht. Die Produktionsfirma der Kino-Adaption hat daher gut daran getan, sich am Originaltitel des Buchs zu orientieren. Und auch im Deutschen heißt der Film nun: „Cold Skin – Insel der Kreaturen“. Was es für Kreaturen sind, die dort im kargen Nirgendwo lauern, stellt sich erstaunlich schnell heraus. Von ersten Zeichnungen, die Friend im Haus des Wetterbeobachters entdeckt, bis zur ersten Konfrontation vergehen nur ein paar Minuten. Aufmerksame Zuschauer erblicken eine der Kreaturen gar schon vor dieser Konfrontation. Subtil in Szene gesetzt, wie man es literarisch gar nicht könnte. So hebt sich die Adaption des Romans bereits früh von seiner Vorlage ab. Neben netten Anspielungen (im Buch wird der „danteske Abstieg“ beschrieben, im Film wird Dantes „Inferno“ ins Buchregal geschoben) geht die Leinwand-Handlung indes bald ihren eigenen Weg. Und hier kommt Xavier Gens ins Spiel. In seinem berüchtigten Debütfilm „Frontier(s)“ setzte er gegenüber seinen Finanziers noch die übelsten Gewaltszenen durch. Was die Budget-Verantwortlichen nicht gutheißen würde, das filmte Gens kurzerhand nachts zwischen den offiziellen Drehs, mit kleinstem Team und maximalem Gore-Faktor. Solche Guerilla-Aktionen konnte sich der Regisseur in dieser Produktion nicht mehr leisten. „Cold Skin“ sieht man von der ersten, beeindruckenden Einstellung, die von Delphinen unter der Meeresoberfläche bis hoch zum Helden an der Reling führt, seine cineastische Güte an: So grau die Felslandschaft der Einöde auch sein mag, so grandios wurde sie mit der Kamera eingefangen. Sowohl visuell als auch dramaturgisch merkt man Xavier Gens seine Entwicklung an – hin zu einem Regisseur, der Figurenzeichnung über Blutzoll stellt und auch Zeit für intime Momente findet. Nichtsdestotrotz bleibt er seiner filmischen Herkunft, dem Hardcore-Horror-Genre, treu: Die vielen Konfrontationen zwischen Friend, Gruner und den Kreaturen fallen blutig und brutal aus – und natürlich ist am Ende nicht mehr klar, wer hier eigentlich die Kreaturen sind. Die offensichtliche Kriegsmetaphorik wurde schon im Roman als etwas zu simpel serviert kritisiert. Xavier Gens ist es leider nicht gelungen, etwaige anthropologische Anwandlungen aus der literarischen Vorlage um ein Mehr der Action willen zu ersetzen. Was bleibt, ist aber immer noch ein gelungenes Genre-Stück: „Cold Skin“ ist ein technisch hervorragender, bisweilen spektakulärer und temporeicher Horror-Streifen mit zwei gut aufgelegten Hauptdarstellern inmitten einer Herde seltsamer Meeresviecher.
DVD Extras: Trailer
Blu-ray Extras: Trailer
Weitere Angaben
Filmtyp: Farbe
Sprachen: Deutsch, Englisch
Untertitel: Deutsch