American Crime Story - The People

Knapp 20 Jahre nach dem aufsehenerregenden Mordprozess gegen den früheren Footballstar O. J. Simpson, der mit einem spektakulären Freispruch endete, nimmt eine zehnteilige Miniserie die damaligen Geschehnisse noch einmal in den Blick. Entstanden ist eine packend inszenierte und famos gespielte Fernsehproduktion, die in ihrer Detailverliebtheit überrascht und wie ein Kommentar auf die Zerrissenheit der heutigen US-Gesellschaft wirkt.
In der Nacht des 13. Juni 1994 werden in Brentwood, einem Nobelstadtteil von Los Angeles, die Leichen von Nicole Brown Simpson und ihrem Bekannten Ronald Goldman gefunden, die mit unzähligen Messerstichen übersät sind. DNA-Spuren und ein Paar Handschuhe führen die Ermittler schnell auf die Fährte des ehemaligen Footballspielers O. J. Simpson, der bis 1992 mit Brown verheiratet war und sich bei den ersten Vernehmungen in Widersprüche verwickelt. Noch dazu bringt Staatsanwältin Marcia Clark in Erfahrung, dass der von vielen als Nationalheld verehrte Afroamerikaner seine Ex-Frau schon häufiger geschlagen und bedroht haben soll. Auf Anraten seines Freundes Robert Kardashian engagiert O. J. den Promianwalt Robert Shapiro, der die Übergabe seines neuen Mandanten organisieren will. Simpsons psychischer Zustand verschlechtert sich allerdings dramatisch. Und noch bevor die Polizei ihn verhaften kann, flüchtet der akut selbstmordgefährdete Mann mit Hilfe eines Football-Kumpels. Als sich der Gesuchte nach einer im Fernsehen live übertragenen Verfolgungsjagd erschöpft den Behörden stellt, beginnen die Vorbereitungen für einen von den Medien hysterisch begleiteten Prozess, in dem es schon bald um ganz andere Dinge geht als um die eigentliche Tat.
Dass sich „American Crime Story – The People v. O. J. Simpson“ nicht nur als auf Spannung getrimmtes Krimiformat versteht, unterstreichen die Bilder, mit denen die Macher ihre Aufarbeitung beginnen. Zu sehen sind Archivaufnahmen von den gewalttägigen Unruhen, die im Jahr 1992 Los Angeles erschütterten, nachdem vier weiße Beamte vom Vorwurf freigesprochen worden waren, den Afroamerikaner Rodney King brutal misshandelt zu haben. Mit diesem Einstieg greift die Miniserie prägnant zwei Themen auf, die auch in der Verhandlung gegen Simpson eine immer größere Rolle spielten. Diskussionen über polizeiliches Fehlverhalten und den angeblich systematischen Rassismus im Ermittlungsapparat verdrängten mehr und mehr die Auseinandersetzung mit den erdrückenden Beweisen. Ausgehend von Jeffrey Toobins Sachbuch „The Run of His Life: The People v. O. J. Simpson“ entwerfen Scott Alexander und Larry Karaszewski ein multiperspektivisches Panorama, das den Verlauf der Gerichtsverhandlung genauestens illustriert und das angespannte gesellschaftliche Klima treffend einfängt.
Simpson selbst ist dabei eher eine Nebenfigur, die Cuba Gooding Jr. als ein Nervenbündel zwischen Verzweiflung und kindlicher Wut verkörpert. Deutlich mehr Gewicht bekommt die von Sarah Paulson wunderbar nuanciert gespielte Chefanklägerin Marcia Clark, die Gewalt gegen Frauen leidenschaftlich bekämpft und O. J. daher um jeden Preis zur Verantwortung ziehen will. Bestärkt durch die zahlreichen Indizien, unterschätzt sie allerdings die unkontrollierbare Dynamik, die die aggressive Strategie der Verteidigung entfesselt. Besonders der schwarze Starjurist Johnnie Cochran setzt den handfesten Beweisen die Behauptung einer rassistisch motivierten Verschwörung entgegen und überlagert damit zunehmend die Fakten. Interessant ist auch die Rolle Kardashians, der ebenfalls zu Simpsons Anwälten gehört und anfangs keine Zweifel an der Unschuld seines Freundes hegt. Nach und nach drängen sich ihm jedoch Bedenken auf, was zu einer langsamen Distanzierung führt.
„American Crime Story – The People v. O. J. Simpson“ ist gespickt mit intensiven Gerichtsszenen, zu denen auch ikonische Momente der Verhandlung zählen, die auf Anordnung des vorsitzenden Richters Lance Ito im Fernsehen übertragen werden durften und so zu einer Seifenoper aus dem echten Leben avancierten. Eingebrannt ins kollektive Gedächtnis – zumindest der Amerikaner – hat sich vor allem die missglückte Anprobe der Tathandschuhe, die als nervenzerrendes, für die Staatsanwaltschaft verheerendes Schlüsselereignis inszeniert wird. Sehr schön arbeitet die Serie das grenzüberschreitende Medienspektakel rund um das Verfahren heraus, wobei vor allem der Sexismus hervorsticht, dem Marcia Clark immer wieder ausgesetzt war. Statt sich auf wichtige Aspekte zu konzentrieren, debattierten Boulevardblätter und Nachrichtensender mehrfach über ihre Verbissenheit und ihr äußeres Erscheinungsbild.
Kritisieren könnte man, dass die Macher den Opfern und ihren Familien nur wenig Platz einräumen. Vor Augen führen muss man sich aber auch, dass diese Entscheidung den tatsächlichen Verlauf des Prozesses spiegelt, in dem irgendwann nicht mehr die Schuldfrage im Fokus stand. Sondern die Spaltung zwischen Schwarz und Weiß, der alltägliche Rassismus und die Willkür der Polizei. Dinge, die die US-Gesellschaft auch heute noch in Atem halten, was „American Crime Story – The People v. O. J. Simpson“ zu einem brandaktuellen Beitrag macht.
Christopher Diekhaus