A Thousand And One
Darum geht es in „A Thousand And One“:
1994 wird die 22-jährige Afroamerikanerin Inez aus dem New Yorker Gefängnis entlassen. Als die ebenso rastlose wie impulsive Frau erfährt, dass sich ihr sechsjähriger Sohn Terry bei der Flucht aus einem Pflegeheim in Brooklyn verletzt hat, entführt sie den Jungen in ihr Heimatstadtviertel Harlem, das vorwiegend von Schwarzen bewohnt wird. Dort versucht Inez, die ihre Eltern früh verloren hat, mit ihrem Freund Lucky, der kurz darauf ebenfalls aus der Haft freikommt, ein neues Leben anzufangen. Während Terry unter falschem Namen aufwächst, baut Inez für ihre kleine Familie ein bescheidenes Nest, das Terry die Geborgenheit schenkt, die sie nie erfahren hat. Doch die um sich greifende Gentrifizierung kennt keine Gnade: Schließlich muss die Familie in einer unbewohnbar gemachten Wohnung hausen. Als der intelligente Terry 17 wird und sich entscheiden muss, ob und wo er studieren soll, fliegt die Fälschung seiner Geburtsurkunde auf.
Was dieses Familiendrama so packend macht:
Der Spielfilmdebütantin A. V. Rockwell gelingt mit „A Thousand And One“ ein fulminanter Einstand, der auf dem berühmten Filmfestival von Sundance den Hauptpreis gewann. Man sieht der erstaunlich stilsicheren Inszenierung an, dass die Regisseurin, die aus New York stammt und das Drehbuch selbst geschrieben hat, das Leben in Harlem und die sozialen Bruchlinien genau kennt. Rockwell wirft hier schonungslose Blicke auf die gesellschaftlichen Widersprüche der Vereinigten Staaten, ohne jedoch in plakatives Pathos zu verfallen oder rührselig zu werden. Dazu passt die sparsame musikalische Untermalung, die jede unnötige Dramatisierung meidet. Der alltägliche Rassismus, mit dem sich Afroamerikaner*innen konfrontiert sehen, wird ebenso deutlich gezeigt wie die Not alleinerziehender Mütter, die sich oft mit mehreren schlecht bezahlten Jobs durchschlagen müssen, ebenso rassistisch motivierte Polizeigewalt in Form von schamlosen Übergriffen gegen Jugendliche wie Terry.
Der Film spielt auf drei Zeitebenen: 1994, 2001 und 2005. Die Zeitsprünge werden markiert durch beiläufig eingefügte Kamerafahrten über Häuserreihen und Ausschnitten aus Reden der wichtigen Bürgermeister Rudy Giuliani und Michael Bloomberg, die mit ihrer Politik die Lebensbedingungen in der Stadt entscheidend veränderten. Zugleich machen die abwechslungsreiche Kameraarbeit und die subtile Veränderung von Farben und Beleuchtung spürbar, welche Folgen der allmähliche Wandel eines traditionellen Armenviertels zum angesagten Hipsterquartier für Terry und seine Familie hat.
Während anfangs die Mutter im Zentrum der Erzählung steht, verschiebt sich etwa ab der Hälfte des Films der Schwerpunkt auf Terry, der dank guter Noten auf eine spezielle Tech High School wechseln kann und als 17-Jähriger mit einer schwerwiegenden Enthüllung konfrontiert wird. Getragen wird das sehenswerte Filmdrama von der R&B-Sängerin und Choreographin Teyana Taylor, die hier als aufbrausende Kratzbürste, die sich trotz aller Rückschläge nie unterkriegen lässt, ihre erste große Kinorolle mit großer Leidenschaft verkörpert. Aber auch die drei Terry-Darsteller Aaron Kingsley Adetola, Aven Courtney und Josiah Cross brauchen sich vor ihr nicht zu verstecken. Allein die Schauspielleistung sorgt dafür, dass in dieser fiebrig-intensiven Großstadtstudie keine Minute Langeweile aufkommt.
Reinhard Kleber
Anbieter
FilmverleihUniversal