Alois Nebel

Schon lange lebt Alois Nebel in dem abgelegenen Bahnhof von Bílý Potok nahe der tschechisch-polnischen Grenze. Wenn abends der Nebel aufzieht und die Wälder in einen grauen Schleier hüllt, dann plagen den alten Fahrdienstleiter schreckliche Alpträume. Ganz nah sind dann plötzlich wieder die Erinnerungen an seine Kindheit. Er sieht Züge, mit denen Juden im Zweiten Weltkrieg in Konzentrationslager deportiert werden. Oder er erlebt noch einmal, wie die deutschstämmige Bevölkerung im Juni 1945 brutal aus dem Sudetenland vertrieben wird und sich einstige Nachbarn auf einmal als erbitterte Feinde gegenüber stehen. Irgendwann kommt Alois Nebel mit all diesen Eindrücken nicht mehr zurecht und wird in ein Sanatorium nach Prag eingewiesen. Dort findet er ein wenig Ruhe und verliebt sich sogar in eine Putzfrau, die ihm Halt gibt. Doch als er entlassen wird, hat sich die Welt schon wieder verändert. Der Zusammenbruch des Ostblocks im Herbst 1989 hat das Land erschüttert.

Tomáš Luňák orientiert sich gestalterisch sehr eng an der gleichnamigen Graphic Novel des Autors Jaroslav Rudiš und des Zeichners Jaromír 99. Er inszeniert seinen im Rotoskopieverfahren hergestellten Film in kontrastreichem Schwarzweiß. Sehr kühl wirkt der Film dadurch, erinnert an einen Film Noir und spiegelt perfekt die unheimliche Grundstimmung und die Ängste des alten Mannes. Obgleich die Rahmenhandlung auch von einem stummen Fremden erzählt, der an alten Peinigern Rache nehmen will, wird „Alois Nebel“ aber nie zu einem konventionellen Thriller. Im Gegenteil: Auf eine übliche straffe Handlung verzichtet der Film und konzentriert sich stattdessen ganz auf die Wahrnehmung seiner Hauptfigur. Über diese lässt er durch fließende Übergänge zwischen Traum und Wirklichkeit die Geschichte jener Region lebendig werden. Um all die Ereignisse einordnen zu können, setzt der Film allerdings auch einiges an Hintergrundwissen über die europäische Geschichte des vergangenen Jahrhunderts voraus. „Alois Nebel“ lebt von seiner Atmosphäre und den Bildern. Aber er erklärt nichts.

Dafür wird Autor Jaroslav Rudiš nicht müde, den 2012 mit dem Europäischen Filmpreis für die beste Animation ausgezeichneten Film mit Anekdoten und Hintergrundinformationen zu begleiten. Er weiß zu berichten, dass die Original-Schauplätze im Altvatergebirge inzwischen zu Pilgerstätten für Bahn- und Filmfans wurden. Auch erzählt er davon, dass es in Tschechien Punk-Rebellen statt Ewiggestriger waren, die an Flucht und Vertreibung nach dem Zweiten Weltkrieg erinnerten. Der besondere Twist seiner Handlung ist der, dass der gleich zweimal entwurzelte und von der Historie überrollte Alois Nebel sein Schicksal irgendwann selbst in die Hand nimmt. Nebels Abschied vom Gestern gelingt.

Blu-ray-Bildformat:16:9
Ton:Dolby Digital 5.1
Sprachen: Deutsch DD 5.1/Tschechisch DD 5.1
Untertitel: Deutsch

DVD Extras: Making of, Specials zum Rotoskopie-Verfahren, Videoclip mit Filmsong, entfallene Szenen

Blu-ray Extras: Making of, Specials zum Rotoskopie-Verfahren, Videoclip mit Filmsong, entfallene Szenen

Stefan Stiletto