Precious – Das Leben ist kostbar

Man stelle sich einen stark übergewichtigen schwarzen weiblichen Teenager von 16 Jahren, der 200 Kilo auf die Waage bringt, in einer sensiblen, authentisch wirkenden Coming-of-Age-Geschichte vor. Dieser Trauerklos wird zudem von Kindesbeinen an von der Mutter misshandelt und gedemütigt, von einer Frau, die das Sozialsystem obendrein schamlos ausnützt. Und sie ist mit Wissen dieser Mutter bereits zum zweiten Mal vom Vater geschwängert worden, ihr erstes Kind hat das Down-Syndrom. Auf den ersten Blick hat Claireece Jones – oder Precious, wie sie genannt wird – weder Freunde noch sonst etwas, was sie besonders liebenswert oder gar vorbildhaft erscheinen lässt.

Die Realisierung eines solchen Films ist mit seiner sperrigen Hauptfigur und seiner tristen Thematik zweifellos ein Wagnis. Wie gut, dass Lee Daniels sich des Romans „Push“ von Sapphire angenommen hat, ohne sich sonderlich um „political correctness“ zu scheren. Neben der überwältigenden jungen Gabourey Sidibe in der Rolle von Precious konnte er prominente Mitstreiter wie die Musiker Mariah Carey und Lenny Kravitz in gänzlich atypisch besetzten Rollen in Szene setzen. Entstanden ist einer der bemerkenswertesten Filme des laufenden Kinojahres, der weder als rührseliges Sozialdrama noch als billige Monstrositätenschau daher kommt. Precious liebt ihre Kinder und möchte für sie sorgen. Sie hat das Glück, in ihrer neuen Lehrerin Miss Rain und in der Sozialarbeiterin Mrs. Weiss Menschen zu finden, die in der Lage sind, hinter die Fassade zu blicken. Sie helfen der jungen Frau, die zunächst weder lesen noch schreiben kann, geben ihr zu erkennen, dass sie durchaus liebenswert und wertvoll ist. Sie helfen ihr schließlich auch, auf eigenen Beinen zu stehen und einen Weg aus der Gewalt ihres Elternhauses zu finden. Das klingt fast wie ein modernes Märchen vom Aschenputtel. Ist es wohl auch, aber dank eines stark zurückgenommenen und völlig undramatischen Inszenierungsstils berührt diese Geschichte – und sie macht all denen Mut, die zumindest ansatzweise wie Precious manchmal das Gefühl haben, nichts wert oder und nicht geliebt zu sein.

DVD-Bildformat: 1:1,85; 16:9
Ton: Dolby Digital 5.1
Sprachen: Deutsch, Englisch
Untertitel: Deutsch
DVD-Extras: Audiokommentar, Entfallene Szene, Interviews, Behind the Scenes, Featurettes, Trailer

Holger Twele