Neubau
Markus ist auf dem Absprung. Die Umzugskisten in seiner Neubauwohnung in der Brandenburger Provinz sind schon gepackt. Die Sehnsucht nach einem Leben in Berlin ist groß. Manchmal träumt sich Markus die queere Gemeinschaft, die er sich in der Großstadt erhofft, zu sich ins Dorf. So lässt sich seine Einsamkeit besser aushalten. Seine Mutter lebt nicht mehr, sein Vater ging vor Markus' Geburt in den Westen und hat den Sohn nie getroffen. Großmutter Alma und ihre Freundin Sabine sind Markus nah und nehmen ihn selbstverständlich so, wie er ist. Doch Alma ist zunehmend verwirrt und braucht Hilfe und Sabine jemanden, der sie mit der Situation nicht allein lässt. Als Markus dem Fernsehtechniker Duc begegnet, entspinnt sich eine leichte zarte Liebe zwischen den beiden. Sollte Markus wirklich gehen oder doch bleiben?
Als Heimatfilm bezeichnen Regisseur Johannes Maria Schmit und Autor und Hauptdarsteller Tucké Royale ihr Debüt, doch mit romantisch verklärenden „Heile Welt“-Filmen der 50er Jahre, die manchmal noch im Fernsehen laufen, hat „Neubau“ nichts zu tun. Schmit und Royale erzählen unaufgeregt und zugleich gut nachfühlbar in klaren Bildern, wie für einen jungen Menschen das Leben in der Provinz aussehen mag, wenn man Gleichgesinnte vermisst. Markus hat die Hoffnung, dass er diese Menschen woanders, eben in Berlin, findet. Zwar ist sein Leben aushaltbar – er hat einen Job auf einer Straußenfarm, trifft sich zu gelegentlichen Sexdates, geht ausgiebig joggen in der Natur – doch immer wieder ist da Leere. Dann stellt sich Markus die bunte feiernde Community vor, die er sich als Wahlfamilie wünscht, und die sitzt plötzlich mitten in Dorf. Gleichzeitig ist Markus seiner Großmutter Alma verbunden, dem einzigen Familienmitglied, das er noch hat. „Neubau“ zeigt so den ganz universellen Zwiespalt zwischen dem Streben nach eigenem Glück und Verantwortungsgefühl, erzählt dies aber anhand der konkreten Lebenssituation des Transmanns Markus. Das geschieht angenehm klischeefrei. Großmutter Alma hat ihren Enkel stets bei jedem Schritt unterstützt. Sie selbst lebt in einer lesbischen Beziehung. Die zärtliche Verbundenheit der beiden Frauen, die Fürsorglichkeit der Familiengemeinschaft miteinander, aber auch Sabines Sorgen angesichts Almas sich verschlechternden Zustands gehören zu den berührendsten Momenten des Films. Die Begegnung mit Duc gibt Markus dagegen eine große Unbeschwertheit. Duc hat die Erfahrung eines Lebens in Berlin schon gemacht. Ob es dort leichter ist? Anders, findet Duc.
Ein wenig lässt „Neubau“ an „Futur Drei“ denken, versteht der Film es doch ebenfalls, mit großer Leichtigkeit und Nähe zu den Figuren eine relevante Geschichte zu erzählen. Auch hier sind die Macher keine klassisch ausgebildeten Filmhochschulabsolventen. Schmit und Royale haben ihre Wurzeln im Theaterbereich, ihr Film entstand als unabhängige Produktion. Doch „Neubau“ kann auf dem klassischen Filmmarkt beeindrucken und wurde zu Recht beim Festival Max-Ophüls-Preis als bester Spielfilm und mit dem Preis als gesellschaftlich relevanter Film ausgezeichnet.
Kirsten Loose
Weitere Angaben
Filmtyp: Farbe
Anbieter
FilmverleihSalzgeber